Kolumne Nullen und Einsen: Die kleine Tastatur im Großraumbüro
Achtung Pipifinger: Die kleine Tastatur wollte immer „irgendwas mit Menschen“ machen, aber so dreckig hatte sie sich den Bürojob nicht vorgestellt.
D ie kleine Tastatur liegt im Großraumbüro. Sie ist ganz flach und zierlich, ihre Tasten schauen nur leicht hervor. In ihrem Großraumbüro gibt es keine fest zugeordneten Schreibtische. Jeden Tag arbeitet also ein anderer Angestellter mit der kleinen Tastatur. Kontakt zu vielen Menschen heißt für die Tastatur: viel Kontakt zu Handcremeresten, Schweiß und Pipihänden. Dieser Mix hat einen sepiafarbenen Film über die weißen Tasten gelegt. Zwar wollte die Tastatur immer „irgendwas mit Menschen“ und „Kundenkontakt“ machen, aber so dreckig und rau hatte sie sich den Bürojob nicht vorgestellt.
Morgens reißt der Computer sie aus dem Schlaf: „Keyboard, bist du da?!“, brüllt er. Und noch während die kleine Tastatur ihre Bestätigung murmelt, hämmern Fingerspitzen Benutzernamen und Passwort in sie ein.
Besonders grob behandelt einer der älteren Angestellten die kleine Tastatur. Er schlägt in die Tasten, als würde er vor einer hundert Jahre alten mechanischen Schreibmaschine sitzen. Ein anderer schreibt mit Einfingersystem – sie nennt ihn: den suchenden Adler – er tippt so langsam, dass der Arbeitstag nur mühsam vorübergeht. Besonders freut die kleine Tastatur sich dagegen auf die eine Angestellte, die so viele Shortcuts benutzt, beispielsweise Befehlstaste-B (Den ausgewählten Text fetten) oder Umschalttaste-Befehlstaste-N (Neuen Ordner erstellen). „Die kennt mich so gut“, denkt die kleine Tastatur dann.
Auch die kleine Tastatur kennt ihre Angestellten gut. Facebook-Passwörter, Privatnachrichten, Kranksheitsgooglesuchen teilen sie mit ihr. Doch sie bewahrt immer Stillschweigen. Nur einmal hat jemand einen Keylogger zwischen sie und den Computer gesteckt, der alle Informationen der Angestellten mitgeschnitten hat. Aber das ist eine andere Geschichte.
Das feuchte Tuch
Eines Tages kommt eine neue Angestellte ins Büro und setzt sich vor die kleine Tastatur. Sie blickt die Tastatur angeekelt an. Die Angestellte wühlt lange in ihrer Tasche, dann präsentiert sie ein feuchtes Tuch und wischt damit über die Tasten.
Die kleine Tastatur kann ihr Glück kaum fassen: Die Angestellte schrubbt gründlich, sie entfernt den braunen Belag von wirklich jeder Taste. Die kleine Tastatur genießt die Massage. Doch dann bemerkt die Tastatur, dass etwas nicht stimmt: Das Tuch ist zu feucht. Das Seifenwasser läuft die flachen Tasten herunter ins Innere des Eingabegeräts. Die kleine Tastatur bekommt Panik. „Hör auf!“, möchte sie noch auf den Bildschirm ausgeben, doch die Verbindung zum Computer funktioniert nicht mehr.
Die neue Angestellte bemerkt ihren Fehler. Panisch drückt sie auf die Tasten, wirft die Tastatur um, damit das Wasser wieder rausläuft. Doch es hilft nichts, die kleine Tastatur ist tot. Die Angestellte schaut sich um. Da niemand der anderen Angestellten im Großraumbüro die Szene beobachtet hat, setzt die neue Angestellte sich heimlich um und arbeitet beschämt an einer anderen, dreckigen Tastatur weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Twitter-Ersatz Bluesky
Toxic Positivity