piwik no script img

Tretboote und Cafés

Nach Krieg und internationaler Ächtung müht sich Serbien wieder um Touristen. Belgrad gilt als der neue Hotspot der internationalen Clubszene

VON HANNA GERSMANN

Wenn es für ein Land keinen deutschsprachigen Reiseführer gibt, dann ist etwas anders. Für Serbien gibt es derzeit keinen. Wer fuhr in den letzten Jahren schon noch in die Region des zerstörerischen Nationalismus. Serbien ist in die Ferne gerückt – im Jahres sechs nach den Balkankriegen. „Was willst du dort?“, fragen Freunde.

Der Flug von Berlin dauert gerade mal anderthalb Stunden. Belgrad ist geschäftig, nicht todgrau wie erwartet. Wer nicht zufällig am Verteidigungsministerium vorbeikommt, trifft in der Hauptstadt Serbiens weder auf Einschusslöcher noch sonst irgendeine Zerstörung.

„Im Fernsehen ertönten zur Erinnerung einmal im Jahr Sirenen“, erzählt Dragica Krstic, die Touristen durch die Stadt führt. Seit langem lebt sie in Belgrad. Das sei so schrecklich gewesen, dass viele Einwohner protestiert hätten. Der Sender stellte das schrille Gedenken ein. Das Leben wird wieder normal.

Krstic redet nicht über die Bombardements der Nato 1999 und nicht über das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Genauso wenig sind die Videos über das Massaker von Srebrenica ein Thema. Lieber erzählt die 50-Jährige, dass Beograd, die „Weiße Burg“, Ziel vieler Eroberer gewesen sei. 50-mal sei die Stadt zerstört und dann wieder aufgebaut worden. Sie bringt den Gästen alte Geschichte nahe – und ein bisschen von der neuen, der Nach-Milošević-Ära.

Man spürt den Stolz, mit dem die Belgraderin den Platz zeigt, auf dem im Herbst 2000 die vielen Menschen gegen Milošević demonstrierten und den Despoten zu Fall brachten. Wer mit Krstic weiter durch die Gassen schlendert, fühlt sich oft an Prag erinnert. In den vielen Kaffeehäusern, auf den großen Plätzen wirkt die Stimmung gelassen. Geredet wird über den Lieblingsfußballklub Roter Stern. Geredet wird auch über die exjugoslawische Kultband Bijelo Dugme, die vor kurzem zum ersten Mal seit Ende des Balkankonflikts wieder ein Konzert gegeben hat. Bejubelt von vielen Fans.

Am Abend ist es trubelig im alten Künstler-Viertel Skadarlija. Wer es sich leisten kann, geht dort essen. Auf der Kalemegdan-Festung, die den Zusammenfluss von Donau und Save beherrscht, treffen sich Freunde. Unten, auf den beiden Flüssen, liegen unzählige Hausboote. Es sind schwimmende Lokale, auf denen bis in den Morgen getanzt wird. Belgrad sei der „neue internationale Hotspot der Clubszene“ liest man überall in Prospekten. Die Stadt feiert ein posttraumatisches Fest.

Wer Belgrad verlässt, begibt sich auf eine holprige Reise. Die Straßen sind schlecht, die Stoßdämpfer der Wagen zumeist auch. Schilder gibt es wenig. Ab und zu läuft eine alte Frau mit einer Kuh die Straße entlang. An den wenigen Tankstellen hört man Turbo-Folk: Dieser Sound der Milošević-Ära hat überlebt. Es sind durch Synthesizer und E-Gitarre verfremdete Volkslieder. Manche verfluchen zwar heute den Show-Glamour, der damals von Krise und Krieg ablenken sollte. Die meisten aber hängen noch an ihm.

So ertönt der Turbo-Folk auch in Zlatibor. Die Tourismuswerber Serbiens rühmen den Ort besonders. Er liegt 220 Kilometer südwestlich von Belgrad entfernt, rundherum nur Wälder und Wiesen. Aber es wartet keine Idylle, sondern ein osteuropäischer Ballermann – mit künstlichem See und Tretbooten. Serbische Sportvereine und Kegelclubs verbringen dort ein paar Tage. Die riesigen Hotels ähneln FDGB-Ferienheimen. Am Abend spielt eine Band im hellblau-schwarzen Glitzeroutfit. Die Stühle an den langen Tischen im riesigen Speisesaal werden zur Seite gerückt, um tanzen zu können. Mit den internationalen Touristen gibt es wenig Berührungspunkte.

Einige Kilometer entfernt, tief in den Bergen, wird es einsam. Plötzlich erkennt, wer gern ins Kino geht, eine Eisenbahnstrecke, ein Auto und ein Haus wieder. Selbst der Hund, der an den Gleisen auf und ab läuft, war der Welt schon nah – im Film „Das Leben ist ein Wunder“. Regisseur Emir Kusturica beschäftigt sich darin mit dem Anfang des Krieges 1992. In der realen Welt erobern Ausflügler die Gegend. Sie kommen nicht wegen des Filmemachers. Sie wollen eine Fahrt mit der neu restaurierten Schmalspurbahn machen. In Serbien hat fast jeder schon mal von ihr gehört.

Kusturica wohnt hier in der märchenhaften Landschaft. Er lädt Besucher in ein Dorf ein, das er in alter Tradition aufgebaut hat. „Küstendorf“ nennt er sein Projekt, das etwas wunderlich ist. Die zwanzig Holzhäuser sind eingezäunt, aus riesigen Lautsprechern dröhnt Musik. Im ganzen Land entwickeln sich derzeit traditionelle Museumsdörfer, als erschöpften sich darin touristische Konzepte. Ein Besuch lohnt sich aber allein wegen des köstlichen Essens. Die Portionen sind größer und die Tomaten saftiger, als sie es je in einem Balkangrill hierzulande waren. Dazu sagt man „Ziveli“, was Prost heißt. Serbien müht sich um Touristen, kommen werden Individualisten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen