Kinoempfehlung für Berlin: Visueller Abenteurer
Wolf Wirth war einer der besten Kameramänner des Landes. Das Zeughauskino widmet dem 2005 verstorbenen Quergänger eine Werkschau.
Ein verschneites Landhaus: modernistisch im Stil der frühen 60er eingerichtet, aber doch verwunschen wie ein Gothic-Schloss. Sieben Frauen finden sich hier nach und nach ein, verbringen hier auf Wunsch des Frauenarztes Alphonse ein Wochenende. Der Gastgeber bleibt eine Leerstelle: Um ihn drehen sich zwar die Gespräche, wohl auch die eine oder andere amouröse Hoffnung, doch bleibt er der Gesellschaft fern – zur Verwunderung der Frauen selbst.
Unklar bleibt der Charakter dieser Zusammenkunft, das Verhältnis der Frauen zu ihrem abwesenden Gastgeber – mal ist von „Regeln“ die Rede, die in diesem Haus herrschen, die gebrochen werden, als eine der Frauen ihren Chauffeur für eine Nacht auf dem Zimmer behält.
Sich allein überlassen, umschleichen die Frauen einander, sprechen miteinander, tanzen, schwimmen, lesen, tauschen bisweilen Gehässigkeiten im Stil der alten, damals noch jungen Bundesrepublik aus: scharf, schneidend, maßregelnd.
Diva ist die eine Frau, Femme fatale die andere, eine abgeklärte Akademikerin findet sich in der Gruppe genauso wie eine naive junge Frau, die sich von Alphonse die Scheidung seiner Ehe erhofft, zumal sie ein Kind von ihm bekommt. Im Dunkel der Nacht umschleicht derweil ein Mann das Haus – und versetzt, wann immer er sich bemerkbar macht, die Gesellschaft der Frauen in Aufregung. Eine Leerstelle indes auch er.
Die coolsten Bilder des Wirtschaftswunders - Der Kameramann Wolf Wirth: 25. 10.–15. 12., Zeughauskino, Unter den Linden 2, www.dhm.de
Was Männer denken, was Frauen sprechen, wenn Männer nicht anwesend sind: „Venusberg“ heißt diese 1963 entstandene Schwarz-Weiß-Trouvaille des BRD-Kinos. Als Skandalfilm lanciert – es gibt Anflüge von Nacktheit, es geht um weibliche Sexualität und Abtreibung, einmal zerlegen die Frauen diverse Hühner – , floppte der Film an den Kassen und fiel dem Vergessen anheim.
2013 wurde er bei einem Hofbauer-Kongress, einer eingeschworenen Zusammenkunft eingefleischter Cinephiler aus dem ganzen Land, zu später Stunde wiederentdeckt. Seitdem tourt er durch die Programme der Kinematheken.
Ein verrätselt kristalliner Film, der gängige Vermessungen des BRD-Kinos einen Moment lang in Frage stellt: Der Gegensatz zwischen Altbranche (Heimatfilm, Edgar Wallace, Winnetou) und Jungem Deutschen Film (Oberhausen, Fassbinder, Herzog) greift hier zu kurz. Regisseur Rolf Thiele zählte damals noch zu „Papas Kino“, in den 50ern drehte er mit Romy Schneider, galt dem Spiegel aber bald als „Chef-Erotiker des deutschen Films“.
Der Kameramann aber ist Wolf Wirth, einer der Unterzeichner des Oberhausener Manifests, und so etwas wie das visuelle Gewissen des Jungen Deutschen Films, dessen ersten Langfilm, Herbert Veselys Böll-Adaption „Das Brot der frühen Jahre“, er 1962 schoss: Ein etwas bemüht kunstwollender Film, der jedoch dank Wirths verspielter Kamera-Formalismen als urbaner Bilderbogen nahezu jazzige Qualitäten erreicht – mit dem U-Bahnhof Gleisdreieck als heimlicher Kinostar.
In „Venusberg“ reifen Wirths Augenmensch-Qualitäten allerdings erst richtig heran: Immer wieder entzieht er das Bild durch originelle Perspektiven dem einschlägigen Nachvollzug, greift dankbar Fensterspiegelungen auf, fragmentiert im Bildanschnitt seine Sujets und holt einen Hauch von Antonioni ins bayerische Landhaus, während er zugleich noch die morbid-melancholischen Bildstrategien der Gothic-Melodramen des Nazi-Filmers Veit Harlan aufruft.
Thiele und Wirth blieben einander treu: In 19 Filmen, darunter die fantastische, haarsträubend wild inszenierte Gesellschaftssatire „Moral 63“ mit Nadja Tiller, nahmen sie die Scheinheiligkeiten der BRD aufs Korn. Die aufregende Wirth-Schau des Zeughauskinos ist damit auch eine heimliche Thiele-Retrospektive.
In der farbenfrohen Komödie „Die Ente klingelt um halb 8“ von 1968 lassen die beiden ausgerechnet einen verwirrt aus der Wäsche guckenden Heinz Rühmann und eine Demo von LSD-Rebellen aufeinandertreffen – aus der der Biedermann des deutschen Films denn auch als einziger verhaftet wird.
Es sind solche irritierenden Bilder, die aus dem Team Thiele/Wirth eine Kostbarkeit der deutschen Filmgeschichte machen. Am Ende landeten die beiden im psychedelischen Softporno, aus dem sich Wirth in die Werbefotografie rettete.
Seinerzeit wurde Wirth als bester Kameramann des Landes landauf, landab gewürdigt. Seitdem ist dieser 2005 verstorbene Quergänger etwas in Vergessenheit geraten. Umso verdienstvoller ist die von Jan Gympel kuratierte Erinnerung daran, dass in den Nischen jenseits des gängigen BRD-Filmkanons weit mehr visuelle Abenteuerlust schlummert als einschlägige Einschätzungen es für möglich halten.
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
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