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Wann ist Diebstahl kreativ?

Am Donnerstag startet das Festival „100 Jahre Copyright“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt: Zum Stand der Debatte über Urheberrechte gibt es ein unterhaltsames Programm

Am Mikrofon eine Bank: Sister Nancy Foto: Campagnie Valentin

Von Robert Mießner

Ein heftiger Aufprall ist es auch, wenn auf den Tisch gehauen wird. Gut möglich, dass die jamaikanische Sängerin Sister Nancy genau das getan hat, als sie 2014 ihre eigene Stimme in einem Werbespot für schicke Sneakers hörte. Dass ihr Refrain aus dem Song „Bam Bam“ als einer der meistgesampelten Ausschnitte im HipHop gilt, dürfte sie gewusst haben. Aber nun auch als Erkennungsmelodie für einen Turnschuh-Werbespot?

Auf ihrem 1982 veröffentlichten Debütalbum „One, Two“ ist ihr Hit „Bam Bam“ auch enthalten, auf dem Coverbild trägt Sister Nancy allerdings Pumps. Die als Ophlin Russell-Myers in Kingston geborene Künstlerin beanspruchte die Rechte an dem Song, kündigte ihren Job – sie hatte lange als Bankkauffrau gearbeitet – und kehrte auf die Bühne zurück. Den Tantiemen sei’s gedankt! Hier sind Copyright und Urheberrecht spät, aber immerhin einer inzwischen 56-jährigen Frau zugeflossen.

Eine gute Idee also, Sister Nancy auf das am Donnerstag im Berliner Haus der Kulturen der Welt beginnende Festival „100 Jahre Copyright“ einzuladen. Vier Tage lang werden pro Abend mindestens drei Konzerte und Performances zu erleben sein, dazu laufen Filme und Vorträge werden gehalten.

Ein pralles Programm, im begleitenden Leporello heißt es: „Um Copyright und Urheberrecht tobt derzeit ein erbitterter Titanenkampf: Auf der einen Seite stehen alle die, die ihr Geschäftsmodell um die Rechteverwertung herum gebaut haben – Verlage, Plattenlabels und Produktionsfirmen. Auf der anderen Seite kämpfen die Vertreter*innen der digitalen Ökonomie. Leidtragende sind dabei einerseits die Kreativen, da die rechtliche Basis, auf der sie ihr Einkommen generieren, aus der prädigitalen Zeit stammt. Andererseits sind es die Konsument*innen von Kulturgütern – und damit eigentlich die ganze Gesellschaft.“

Dem Festival geht es um „die verschiedenen rechtlichen Konzepte und die unterschiedlichen Modelle, die global zum Schutz und zur Förderung von künstlerischer Arbeit existieren“. Und: „Darüber hinaus wird in Nischen, Grauzonen und rechtsfreie Räume geschaut.“ Denn, auch beim Copyright steckt der Teufel in den Details. Wo fängt geistiger Diebstahl an, wann hört kreatives Klauen auf?

Sister Nancys „Bam Bam“ selbst basiert auf einem gleichnamigen Song des jamaikanischen Vokal-Trios Toots & the Maytals von 1965. Und auf Nancys „One, Two“-Album findet sich mit „Coward of the Country“ ein Song, der gleich zwei weitere zitiert: einmal den „Banana Boat Song“, ein jamaikanisches Volkslied, dessen wohl bekannteste Version 1956 auf Harry Belafontes Album „Calypso“ – dem ersten Millionen-Seller übrigens – erschienen ist. Hinzu kommt „In the Ghetto“, 1968 von dem texanischen Singer-Songwriter Mac Davis komponiert und in der Version von Elvis Presley auf seinem Comeback-Album „From Elvis in Memphis“ ein Hit geworden.

Sister Nancy eine diebische Elster zu nennen, verbietet sich hier. Selbst eine Formulierung, wie zum Beispiel, sie habe sich die Welt der beiden Songs zu ihrer eigenen gemacht, könnte verharmlosend sein. Eher hat sie die lange Nachtschicht von Hafenarbeitern und das kurze Leben eines Außenseiterkindes direkt vor Augen gehabt.

In Sister Nancys musikalischem Metier, im Reggae und seinem Subgenre, dem Dub, wird mit musikalischem Material seit jeher gespielt und getüftelt. Ein weiteres Beispiel ist das „Toasting“, die in Jamaika erfundene Kunst des rhythmischen Sprechgesangs über den Instrumentalversionen populärer Songs. Einer, der das seit den sechziger Jahren pflegt, ist der Musiker Dennis Alcapone. Er und der Londoner Dub-Reggae-Produzent Mad Professor werden zusammen ein Konzert für „100 Jahre Copyright“ bestreiten.

Sister Nancy hat sich beim Singen die lange Nachtschicht von Hafenarbeitern vorgestellt

Ein wichtiger Song für auf den Weg zum Festival beziehungsweise die Veranstaltungspausen könnte sein: die „Black and Tan Fantasy“, ein Jazzklassiker aus dem Jahr 1927, komponiert von Duke Ellington und „seinem“ Trompeter Bubber Miley. Woher Miley das Moll-Thema des Stückes genommen hat, darüber gibt es verschiedene Vermutungen. Waren es Jazzkollegen wie Sidney Bechet und King Oliver? Oder ein Gospel, den Miley seine Schwester singen hörte?

Sicher ist, dass in der „Black and Tan Fantasy“ Frédéric Chopins „Trauermarsch“ aus seiner zweiten Klaviersonate Opus 35 zitiert wird. Ellington und Miley: Zwei Afroamerikaner bedienen sich bei und verneigen sich vor einem polnischen Komponisten, der die Hälfte seines Lebens im Exil verbracht hat. Eine schöne Volte!

Auch toll ist eine nordenglische Variante des „Toastings“, erschienen 1984 auf einem Album der britischen Postpunk-Band The Fall: „Elves“, ein Song, teils Pamphlet, teils Geistergeschichte, der wiederum auf dem Riff eines Protopunk-Klassikers basiert: „I Wanna Be Your Dog“, 1969 vom Debütalbum der Stooges. Fall-Mastermind Mark E. Smith übrigens outete sich in den frühen neunziger Jahren als großer Fan von Arnold Schönberg, dessen Kompositionen er eine Zeitlang als Intro-Tape auf Konzerten verwendet habe: „Um die Leute kirre zu machen.“

Werke von Arnold Schönberg, Modernist und Zwölftöner, werden den Konzertteil von „100 Jahre Copyright“ beenden. Das Berliner E-Musik Ensemble Zeitkratzer möchte herausfinden, ob „sich Arnold Schönbergs Werke ‚einfacher komponieren‘lassen, so dass ihre Charakteristik dennoch zu erkennen ist“.

Festival „100 Jahre Copyright“, 18. bis 21. 10., Haus der Kulturen der Welt, Berlin

Sister Nancy feat. Legal Shot, Freitag, 19. 10., 22.30 Uhr

Mad Professor / Dennis Alcapone, Sonnabend, 20. 10., 22 Uhr

Zeitkratzer: „Arnold Schoenberg Award“, Sonntag, 21. 10., 20 Uhr

Vollständiges Programm unter www.hkw.de

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