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Claude Debussy träumte von dieser OperIn der neuen Gruselgruft

Die Berliner Staatsoper beauftragte die belgische Komponistin Annelies van Parys mit einer Oper zu E.A. Poes „Der Fall des Hauses Usher“.

Szenenbild mit den handelnden, also singenden Personen und Mitgliedern der Staatskapelle Berlin Foto: Martin Argyroglo/Staatsoper

Die „Neue Werkstatt“ im Nebengebäude der Staatsoper hinter der St. Hedwigs-Kathedrale heißt jetzt „Alter Orchesterprobensaal“. Das mag der ehemaligen Funktion des Raumes entsprechen, gibt aber Anlass zur Sorge. Denn die „Neue Werkstatt“ war tatsächlich neu, frisch lackiert und versprach dennoch, auch die Werkstatt neben dem Schillertheater beim Umzug an den Stammsitz Unter den Linden mitzunehmen – so gut es eben ging.

Der jetzt leerstehende Schuppen an der Bismarckstraße ist Legende, seit Samuel Beckett dort gearbeitet hat. Unter dem Intendanten Jürgen Flimm wurde er wieder zum Schauplatz bemerkenswerter Aufführungen, gewiss unterschiedlicher Qualität, aber immer abenteuerlich und gewagt. Der Raum war hässlich, unbequem und gerade deswegen liebenswert.

Was jetzt aber „Alter Orchesterprobensaal“ heißt, ist nur neu. Nagelneu, neoklassisch sauber und immer noch nach Lack riechend. Ausgerechnet hier also fand am Freitag die Uraufführung eines Auftragswerkes der Staatsoper statt, dessen Text Verwesung, Verfall und Tod im Sinnbild eines zerbrechenden und im Moor versinkenden Palastes zu einer literarischen Form verdichtet, die stilbildend wurde: Edgar Allan Poes „Der Fall des Hauses Usher“, erschienen 1839 in einem amerikanischen Herrenmagazin.

Charles Baudelaire war Poes Übersetzer

Charles Baudelaire hatte das Gruselstück ins französische übersetzt. Claude Debussy war begeistert, entwarf drei verschiedene Textvorlagen und notierte etwa 20 Minuten Musik. Fertig wurde er nie. Immer wieder ist versucht worden, das Fragment auf die Bühne zu bringen, überzeugend gelang es noch nie. Die 43 Jahre alte Belgierin Annelies van Parys versucht es gar nicht erst. Dafür liebt sie Debussys Musik viel zu sehr.

Sie ließ sich davon inspirieren, zitiert auch mal ausführlich aus seinen Skizzen, geht aber ihren eigenen Weg. Sie hat bei Dozenten der sogenannten „Fraktalen Musik“ gelernt, kümmert sich heute aber nicht mehr um Stilfragen. Sie nimmt einfach, was ihr passend erscheint. Ein klassisches Streichquartett, dazu Kontrabass, Horn, Posaune, Trompete, Tuba, Flöte, Saxophon, Akkordeon, Harfe und Schlagzeug begleiten vier Singstimmen in die schaurige Welt grausiger Todesängste, entspannt dirigiert von Marit Strindlund.

David Oštrek, Martin Gerke, Dominic Kraemer und Ruth Rosenfeld erzeugen mit ihren sehr schönen Stimmen eine unwiderstehlich dichte Stimmung des fortschreitenden Grauens. Die Journalistin und Autorin Gaea Schoeters hat aus Debussys Textversuchen ein in sich geschlossenes Kammerspiel gestrickt. Poes Erzähler besucht als Freund ein inzestuöses Geschwisterpaar, das von einem teuflisch grinsenden Arzt bewacht wird. Van Parys Musik folgt den Personen mit sehr gesanglichen Melodien, die auch mal zu veritablen Arien auswachsen dürfen.

Wunderbar zu hören, leider nichts zu sehen

Das ist wunderbar zu hören, wenn auch manchmal etwas überfrachtet mit Hinweisen auf die Rolle der Angst in der Politik. Nur zu sehen ist davon nichts. Das Kammerorchester sitzt hinten rechts, davor stehen alte Fernseher, ein Sofa, ein Schreibtisch und Pappkartons. Damit versucht Philippe Quesne vergeblich Gruselgefühle zu wecken.

Nur farbige Nebelschwaden trüben manchmal die Sicht auf die verzweifelten Posen der Sänger in Alltagskostümen und der Sängerin in Schlafzimmergarderobe. Mag sein, dass van Parys kleines Wunderwerk schwer auf die Bühne zu bringen ist. Es fehlt ihm an dramatischer Handlung. Die etwa 90 Minuten lange Musik könnte jedoch sehr gut einen Film füllen, ein „Blair Witch Project“ im 19. Jahrhundert vielleicht.

So bleibt es leider in den alten Orchesterprobensaal der Staatsoper Unter den Linden eingesperrt. Schade, und ob aus dieser Designergruft jemals eine Werkstatt für neue Musik und neues Theater wird, muss sich noch zeigen. Im kommenden Januar steht „Kopernikus“ auf dem Spielplan. Das ist letzte Werk von Claude Vivier, einem katholisch-hinduistischen Mystiker, der 1983 von einem Strichjungen ermordet worden ist. Vielleicht passt das besser.

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