DDR-Bürgerrechtler über Rechte: „Das hat einen völkischen Ton“
„Wir sind das Volk'“, postuliert die AfD. Ex-Bürgerrechtler Martin Böttger findet das „unsäglich“ und spricht von einem Missbrauch des „Wir“.
taz: Herr Böttger, „Wir sind das Volk“ war einst der Ruf der Friedlichen Revolution. Zuletzt wurde er bei rassistischen Protesten in Chemnitz gerufen, vorher schon bei Pegida-Umzügen. Was empfinden Sie dabei?
Martin Böttger: Das ist unsäglich! Wir fühlen uns missbraucht, wenn Rechtsextremisten rufen: Wir sind das Volk! Das „Wir“ meinte 1989: Nicht ihr da oben, sondern wir da unten sind das Volk. Heute steht das „Wir“ für die weißen Deutschen, die sich gegen die Migranten wenden. Das hat einen völkischen Ton.
AfD-Chef Alexander Gauland beschwört eine neue „Friedliche Revolution“. Ist das Erbe von 1989 unter die Rechtsextremen geraten?
Dagegen wenden wir uns ja in unserer Erklärung, die von über 100 früheren Bürgerrechtlern unterzeichnet wurde. Martin Kohlmann, der Gründer der rechtsextremen „Bürgerbewegung“ Pro Chemnitz zitiert meine Mitstreiterin Bärbel Bohley, die einmal sagte: „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat.“ Kohlmann, ein Anwalt, stellt heute damit offenbar den Rechtsstaat in Frage. Doch der Rechtsstaat ist ein hohes Gut. Das wissen wir, die wir in einem Unrechtsstaat gelebt haben.
Und Gaulands „Friedliche Revolution“?
1989 war eine gewaltfreie Revolution. Gauland und Co behaupten, dass ihr Protest auch gewaltfrei wäre. Doch es war ein Mob, der durch Chemnitz zog. Es wurden Hitlergrüße gezeigt. Es gab Jagdszenen auf anders aussehende Menschen. Das ist das Gegenteil von gewaltfrei.
Trotzdem berufen sich auch AfD-Anhänger auf die Wende, sagen, dass sie schon 1989 auf der Straße waren und gegen die SED demonstriert haben. Was entgegnen Sie denen?
Verteidigen Sie diesen Rechtsstaat! Er funktioniert noch. Man kann ihn sicher verbessern. Aber wenn man das will, reicht es nicht zu rufen: Merkel muss weg!
Physiker, war 1985 Mitbegründer der „Initiative Frieden und Menschenrechte“ und 1989 des „Neuen Forums“
Sie haben die Friedliche Revolution 1989 mitgestaltet. Es gibt Stimmen, die sagen, dass damals schon Rechtsextreme Anteil am Sturz der SED-Herrschaft hatten. Zu Recht?
Dafür hätte ich gerne Belege. Ich kenne auch keine solchen Akteure. Die, die ich kenne, kamen aus dem linken Milieu.
Sie sind Vorsitzender des Martin-Luther-King-Zentrums, das das Erbe von 1989 und das des gewaltfreien Protestes von King bewahren will. Bemerken Sie bei Ihren Veranstaltungen, dass sich die Stimmung ändert?
Wir spüren das schon eine ganze Zeit. Zu unseren Veranstaltungen kommen nicht nur Besucher aus dem linksliberalen Milieu, es kommt auch die bürgerliche Mitte und AfD-Wählerschaft. Und da gibt es heftige Diskussionen. Sie sind aber immer friedlich, meist sachlich. Ich musste jedenfalls noch niemanden rauswerfen.
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