Sektensiedlung Colonia Dignidad in Chile: Noch keine Hilfe
Der Bundestag fordert von der Bundesregierung, die Verbrechen der deutschen Sekte aufzuarbeiten. Jetzt geht es voran – aber nur sehr langsam.
1961 gründete der Deutsche Paul Schäfer die Siedlung Colonia Dignidad und baute dort eine Sekte auf. Mit Getreuen verübte er Menschenrechtsverletzungen an anderen BewohnerInnen. Deren Alltag war geprägt von Freiheitsentzug, Sklavenarbeit und systematischem sexuellen Missbrauch. Während der Pinochet-Diktatur ab 1973 kooperierte die Sektenführung mit dem chilenischen Geheimdienst DINA. Hunderte Oppositionelle wurden auf dem Gelände gefoltert, nach Zeugenaussagen etwa einhundert ermordet. Deutsche Regierungen wussten um die Zustände, gingen aber nicht dagegen vor.
„Wir arbeiten an einer Übereinkunft zur Einrichtung eines Dokumentationszentrums und vielleicht einer Gedenkstätte an dem Ort, an dem diese Verbrechen begangen wurden“, erklärte Piñera in Berlin. Merkel sah die Einrichtung eines Lernortes „vom Grundsatz her positiv“.
Bundestag fordert Zusammenarbeit
2017 hatte der deutschen Bundestag einen einstimmigen Beschluss zur „Aufarbeitung der Verbrechen in der Colonia Dignidad“ gefasst. Darin forderte er die Bundesregierung auf, zusammen mit der chilenischen Regierung eine Gedenkstätte und einen Dokumentations- und Lernort in der deutschen Siedlung einzurichten. Wenn die Regierungen beider Staaten sich einigen, sollen deutsche und chilenische ExpertIinnen endlich einen konkreten Entwurf erstellen.
Im Bundestagsbeschluss wird die Bundesregierung auch zur historischen Aufarbeitung, zur Aufklärung der Vermögensverhältnisse der Villa Baviera (so heißt die Colonia Dignidad seit 1988) und zur Entwicklung eines Hilfskonzepts für Opfer der deutschen Sekte aufgefordert.
Letzteres ging im ersten Anlauf allerdings schief. Ein vom Auswärtigen Amt vorgelegter Entwurf für Hilfsmaßnahmen stieß auf breite Ablehnung bei Betroffenen und Abgeordneten. Der menschenrechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Michael Brand, kritisierte in diesem Zusammenhang eine „strukturelle Fixierung des deutschen Staates insbesondere des Auswärtigen Amtes auf die Villa Baviera“ und sagte: „Es gibt Opfer, die die heutige Villa Baviera bewusst verlassen haben. Auch die müssen in dieses Konzept einbezogen werden.“
Ein schleichender Prozess
Am Mittwochabend traf sich die „Gemeinsame Kommission zur Umsetzung des Hilfskonzepts für die Opfer der Colonia Dignidad“ zu ihrer konstituierenden Sitzung. Abgeordnete aller Fraktionen tagen hier zusammen mit VertreterIinnen aus Ministerien. Sie sollen Kriterien definieren, nach denen Hilfsleistungen an Opfer der Sekte vergeben werden. Doch die Abgeordneten fordern zuerst einen neuen Regierungsvorschlag für ein Hilfskonzept.
Zur Abstimmung ihrer Vorgehensweise wollen die Abgeordneten sich zunächst untereinander treffen und auch Experten anhören. Friedrich Straetmanns von der Linken erklärte nach der Sitzung der Kommission: „Über alle Parteigrenzen hinweg beschäftigt uns der Wunsch nach einer zügigen und menschlich fairen Lösung dieser Frage. Wir wollen den Opfern signalisieren, dass wir sie nicht alleine lassen, und dass wir als Parlamentarier jetzt verstärkt Druck machen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Resolution gegen Antisemitismus
Nicht komplex genug