editorial: Wer zu Wort kommt
Der deutsche Buchhandel hat laut Umfragen in letzter Zeit mehr Leser verloren, als Georgien überhaupt Einwohner hat. 6,4 Millionen BuchkäufInnen gibt es weniger, so heißt es (und Georgien hat 3,7 Millionen Einwohner). Dennoch. Georgien wird, so viel lässt sich jetzt schon absehen, auf der Frankfurter Buchmesse einen tollen Gastland-Auftritt hinlegen, und fast 30 Millionen Deutsche haben dann eben doch mindestens ein Buch gekauft.
Krise des Lesens – das ist eben auch relativ. Wir halten es jedenfalls mit Leonard Cohen. Der hat, wie es auf Seite 7 dieser literataz heißt, bei dem Dichter Federico García Lorca eine eigene Stimme gefunden, Material für „ein Selbst, das nicht feststand“. Dass nichts feststeht, auch die Lesekrise nicht, das ist vielleicht die bessere Maxime – weshalb man, statt sich erschüttern zu lassen, zum Beispiel lieber mit Anke Stelling fragen sollte, wer in unserer Gesellschaft zu Wort kommt und wer nicht. Auch dafür gibt es Bücher.
Und die Demokratie? Ist auch sie wirklich in der Krise? Oder sind die härter werdenden Auseinandersetzungen nur ein Ringen um neue Hegemonien? Chantal Mouffe, die wir in Wien getroffen haben, würde Letzterem zustimmen und fordert auf Seite 13 einen linken Populismus. Ein gefährliches Spiel, denn bisher sind alle Anrufungen eines Volkes in Xenophobie und vor allem in Antisemitismus gemündet.
Dirk Knipphals
Tania Martini
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