piwik no script img

abgepaustSehnsucht nach Schlimmem

Gerade erst laut darüber nachgedacht: Gibt es, analog zu politischen Angeboten wider eine als unübersichtlich erlebte Gegenwart, nicht auch publizistische? Medien also, die sich zu überlegen scheinen: Welcher Stammtisch ist der größere? Wo lässt sich mehr Zustimmung versilbern? Die bequeme Antwort: Ja, gibt es, und bezeichnet werden sie gerne als Boulevardmedien; so wie ja auch der Populist kaum wen lieber im Munde führt als irgendwelche einfachen Leute auf, eben: dem Boulevard.

Dahingestellt, was genau dazu führte, dass ein lange auf rot- oder auch blaulichtbeschienenem Trottoir wirkender Morgenpost-Kollege jetzt das Stammti-, nee, Quatsch, „Standpunkt“-Format des Blattes mit einer in viele Richtungen lesbaren Forderung vollschrieb: „Lasst die Vergangenheit aufleben!“ Es ging dann nicht um die Rettung des Deutschen vor dem Binnen-I oder eine Homogenität in den Grenzen von 2014. „Baut das alte Hamburg wieder auf!“, dröhnte eindeutiger die dazu gehörige Titelseite, und unter Hinweis auf Frankfurt/Main, wo neulich eine Innenstadtsimulation für Manufactum-Kund*innen fertig gezimmert wurde, erhebt man die Forderung, auch an der Elbe wieder zu errichten, was „erst Großer Brand, dann Bombenkrieg“ uns nahmen.

Nun weiß man gar nicht, wo anfangen: beim zutiefst Provinziellen solcher Fantasien? Bei der Geschichtsvergessenheit, zumal die da bequengelten Narben und Lücken ja gerade nicht schicksalhaft übers Stadtbild gekommen sind? Oder dem Hinweis auf jenen Rechtsradikalen unter den Frankfurter Renovierern, der entsprechende Kritik unter Hinweis auf irgendwelchen „Modernismus“ glaubt abwiegeln zu können – aber, klar: partout nicht rückwärtsgewandt sein will? Aber auch der Kollege vom Morgenblatt will ja sicher eines nicht sein: Populist. Alexander Diehl

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen