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Wie setzt man Töne für Massaker?

„Kosa La Vita – Kriegsverbrechen“ der Performancegruppe Flinn Works und des Quartett Plus 1 in den Sophiensælen

Von Tom Mustroph

Als im Jahre 2011 die bundesdeutsche Justiz den ersten Prozess nach dem Völkerstrafrecht in diesem Lande gegen einen unauffällig in Mannheim lebenden Kirchgänger eröffnete, war das Interesse gewaltig. Der Katholik, der an fast jedem der folgenden 319 Prozesstage Gott im Munde führte, war angeklagt, als Präsident des politischen Armes der ruandischen FDLR-Miliz seine Männer zu großangelegten Massakern und kollektiven Vergewaltigungen angestiftet zu haben. Zahlreiche Gewalttaten sind belegt, durch Zeugenaussagen und Bilddokumente, die unter anderem Human Rights Watch sammelte. Die Täterschaft von FDLR-Soldaten ist ebenfalls belegt, selbst wenn sich bei Human Rights Watch die Einschätzung findet, dass sich kongolesische Armee die die FDLR bekämpfte, in diesen Gebieten als noch größerer Ausüber von sexueller Gewalt hervortat.

Töten von Nichtkombattanten und vergewaltigen ist gängige Militärtaktik in vielen kriegerischen Auseinandersetzung. Und in Auftrag gegeben wurde dies in diesem Fall anscheinend von Mannheim aus, per SMS, Telefon und Skype, von einem Mann, der in Deutschland studiert, ja sogar promoviert hatte und dem in Rekord verdächtigem Tempo von sechs Wochen im Jahre 2000 ein Asylantrag genehmigt wurde. Die taz berichtete. Sie war auch beim vier Jahre dauernden Prozess regelmäßig zugegen, als bei den meisten anderen Medien das Interesse längst erlahmt war. „Die taz-Artikel über den Prozess waren wichtige Quellen für uns“, bemerkt Lisa Stapf, Mitglied von Flinn Works und Cellistin bei Quartett Plus 1.

Verurteilt wurde Ignace Murwanashyaka im Jahr 2015 zu 13 Jahren Haft wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen und Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung. Zahlreiche andere Anklagepunkte mussten gestrichen werden: Zu aufwändig die Beweisführung, zu unsicher die Quellenlage, zu verschreckt Opferzeugen. Murwanashyaka inszenierte sich bei der Urteilsverkündung noch als Widerständler, in einer Linie mit den Geschwistern Scholl und dem Hitlerattentäter Stauffenberg. Na klar, der Mann kennt deutsche Diskurse.

Das komplexe Thema wurde von den Künstlern in einem mehrjährigen Arbeitsprozess in die Form eines performativ angereicherten Konzerts überführt. Juristische Formulierungen werden im Duktus von Brecht und Weill vorgetragen. Zertrümmerte Streichinstrumente bedecken den Boden und eröffnen einen weiten Assoziationsraum, als die Beweisaufnahme vorgenommen wird. Opferzeugen berichten – und werden durch die Befragungstaktik der Verteidigung ein weiteres Mal gedemütigt. Immer wieder eingestreut Fetzen von Musik, teilweise auch von zerfetzten Blättern abgespielt, dissonant, zuweilen sogar vertikal die Notenlinien hoch. Komponist Matthias Schubert fand beeindruckende Lösungen für ein zunächst unmöglich scheinendes Vorhaben. Denn wie setzt man Töne für Massaker?

Herausragend die Idee der Übertragung eines Funkspruchs. Saiten und Bögen der Streichinstrumente werden zu Signalgebern. „Piep, piep, tok, tok“, wird gemorst. Dazu Stimmen, gehaucht, geflüstert, angerauht, die Buchstaben für Buchstaben, eine Ewigkeit dauernd, den Befehl überbringen, für eine „h – u – m – a – n – i – t – ä – r – e – K – a – t – a – s – t – r – o – p – h – e“ zu sorgen.

Der Befehl ist eingebettet in einen historischen Diskurs über den kaiserlichen Kolonialbeamten Hermann von Wissmann, der sich im 19. Jahrhundert mit Strafexpeditionen in Ostafrika einen Namen machte; Abschreckung als Militärtaktik galt schon damals. Zwei Straßen sind noch in Berlin nach ihm benannt. Für Deutschlandkenner Murwanashyaka wird Mitte Oktober das nächstinstanzliche Urteil erwartet.

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