piwik no script img

Kolumne Unter LeutenIn Prora, Rügen

Philipp Eins
Kolumne
von Philipp Eins

Wer zum Teufel kauft sich eine Eigentumswohnung in Prora? Also in einer der größten architektonischen NS-Hinterlassenschaften.

Umbau von Prora zur Wohn- und Hotelanlage Foto: imago/blickwinkel

E in sonniger Vormittag im Juni. Bauarbeiter heben mit Baggern Sand aus dem Boden, direkt vor einem frisch verputzten fünfstöckigen Häuserblock des ehemaligen Nazi-Seebads Prora auf Rügen. Ich stehe daneben, gemeinsam mit dem 49-jährigen Sozialpädagogen Christian Schmidt.

Über ein Jahr war er in Prora als DDR-Waffenverweigerer zwangskaserniert. Genau dort, wo die Jugendherberge mit 400 Betten eröffnet wurde. „Ich war am Ende des Gangs“, sagt Schmidt und zeigt auf eine besonders trostlose Lücke im Betongerippe. „Das dritte Fenster von rechts in der vorletzten Etage, dort war mein Zimmer.“

Was mit dem Ferienkoloss an der Ostsee geschehen soll, war schon lange ein Streitthema auf Rügen. Während Investoren an einer touristischen Verwertung des Ortes interessiert waren, forderten Historiker und Zeitzeugen, das Gelände als Gedenkort zu nutzen. Denn Prora ist nicht irgendein Seebad.

Es ist aus Beton gegossene Geschichte. Im Auftrag der Nazi-Organisation „Kraft durch Freude“ wurden zwischen 1936 und 1939 Wohnblöcke auf einer Länge von 4,5 Kilometern hochgezogen – direkt am Prorer Wiek, einem Traumstrand. 20.000 Menschen sollten hier gleichzeitig Urlaub machen, ganz im Sinne der Rassenideologie der NS-Propaganda. Fertig wurde der Koloss nie.

20.000 Menschen sollten hier gleichzeitig Urlaub machen, ganz im Sinne der Rassenideologie der NS-Propaganda.

Stattdessen zog nach dem Krieg die Nationale Volksarmee auf das Gelände. Prora wurde zur Kaserne. Und in den 80er Jahren zum größten Standort der „Bausoldaten“, so nannte man die Kriegsdienstverweigerer in der DDR. Statt an militärischen Manövern teilzunehmen, leistete auch Christian Schmidt Ersatzdienst.

Er half beim Aufbau des Fährhafens Mukran bei Prora. Bei den Anwohnern brachte ihm das Anerkennung, von den Vorgesetzten wurde er schikaniert. „Die waren der Meinung, wir sind alle Staatsfeinde in Uniform“, sagt er. Ob an diese Zeit genügend erinnert wird, daran hat Schmidt so seine Zweifel.

Sieben Jahre ist es her, dass ich Christian Schmidt getroffen habe. Seitdem hat sich in Prora einiges getan. Privatinvestoren haben Teile der Gebäude neben der Jugendherberge saniert, Hunderte Ferien- und Eigentumswohnungen sind entstanden.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Vor wenigen Wochen wurde die ehemalige Nazianlage von Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsministerium sogar zum staatlich anerkannten Erholungsort ernannt. Immerhin informiert ein kleines Dokumentationszentrum über die NS-Vergangenheit des Baus.

Würde Christian Schmidt das wohl reichen? Und wer zum Teufel kauft sich eine Eigentumswohnung in einer der größten architektonischen NS-Hinterlassenschaften, neben dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände und dem Berliner Olympiastadion? Prora wird immer Fragen offenlassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Philipp Eins
Freier Journalist und Gründer von EINS.STUDIO.
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Prora war 1945 eine Bauruine, nie in der Nazizeit als Seebad genutzt. Die eigentliche Nutzung begann erst in der DDR, als die Blöcke zu der größten Kasernenanlage der NVA ausgebaut wurden. Damals war Prora berüchtigt und gefürchtet. Hier konnte man Grundwehrdienstleistende und so genannte Spatensoldaten (Waffenverweigerer) in der Abgeschiedenheit auf der Insel Rügen gefügig machen. Der Architekt Daniel Liebeskind sagte in einem Fernsehbeitrag Prora verschlingt einem die Seele, wenn man die Gebäude betritt und 'was für einen Horror haben die hier erschaffen'. Das Gefühl hatte ich damals auch, als ich in den siebziger Jahren in Prora meinen Wehrdienst absolvierte. Man kann die Gebäude noch so komfortabel ausbauen, der Horror bleibt.

  • Die Kasernierung der Urlaubermassen,ob in Südfrankeich,auf Malle oder sonstwo ist fester Bestandteil des Massentourismus,der mit seinen Segnungen alles kaputt kriegt.Deshalb ist es ein schönes Experiment,wann sie Prora endlich in Schutt und Asche gelegt haben werden.

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Was unterscheidet das Anwesen von der DDR Platte oder den Ferienbunkern der Kommunisten?

    • @80576 (Profil gelöscht):

      Der Bauherr.

  • Selbst der Hotelkomplex ist öde und trist- von den sogenannten Gärten zwischen den Abteilungen ganz zu schweigen Alles wie tot vielleicht angemessen

  • Wenn's danach geht, kann man auch keinen VW aus Wolfsburg fahren. Oder auf dem Tempelhofer Feld rumspielen. Neulich erzählte mir eine Freundin aus Österreich, dass die Nazis dort eine komplette Innenstadt gebaut hatten, die jetzt saniert wurde. (Ich glaube es war Salzburg oder Linz). Interessant finde eher die Frage warum die DDR das Bauwerk einfach so stehenliess. Wirklich genutzt haben sie es offensichtlich nicht.

  • 9G
    99337 (Profil gelöscht)

    Ich war vor einigen Jahren auf Rügen. Damals warb man mit mehreren markigen Sprüchen wie "Das Flagschiff unter den Ferienanlagen" (oder so ähnlich) für die Ferienwohnungen. Fand ich im historischen Kontext ziemlich schräg.

  • Wer sowas kauft oder darin Urlaub macht, dem hätte Onkel Heinrich gesagt: Dann kann ich ihnen auch nicht helfen