: Die Angst der Syrer vor dem Wiederaufbau
An der Volksbühne unterhielten sich anlässlich des Stücks von Mohammad Al Attar Experten über die Situation in Syrien
Von Tom Mustroph
Mohammad Al Attar hat für sein neues Stück, das nach der Premiere bei der Ruhrtriennale ab Donnerstag in Berlin gespielt wird, eine ganz besondere Episode von Syriens verwickelter Kriegsökonomie zum Thema gemacht: Den Weiterbetrieb einer Zementfabrik in Syrien durch den französischen Konzern Lafarge auch während der Kriegshandlungen und die damit verbundenen Schutzgeldzahlungen von insgesamt 13 Millionen Euro an Terrorgruppen. Darunter befanden sich auch monatliche Zahlungen in Höhe von 20.000 Dollar an den IS in den Jahren 2013 und 2014. Diese Zahlungen gab ein früherer Top-Manager zu, der aktuell mit weiteren Kollegen und Ex-Kollegen in Paris in einem Verfahren wegen Terrorfinanzierung, Beteiligung an Kriegsverbrechen und Zwangsarbeit vor Gericht steht.
„Das Gericht legte als Sicherheit für mögliche Sanktionen bereits die Zahlung einer Kaution in Höhe von 30 Millionen Euro fest“, erklärte Claire Tixeire, Beraterin des European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR), einem der Kläger in Paris, auf der Veranstaltung. Tixeire wertete die Kaution bereits als einen Erfolg in der juristischen Klärung der Verwicklung westlicher Unternehmen in Syriens Kriegswirtschaft.
Ob Lafarge ein Einzelfall ist oder ob das Vorgehen gar typisch für westliche Unternehmen in Syrien war, konnte auf dem Panel nicht geklärt werden. Shaza Alsalmoni von der in London ansässigen Syrian Legal Development Programme (SLDP) konnte sich noch an eine französische Firma für Überwachungssysteme erinnern, die auch nach den ersten Demonstrationen Abhörtechnologie an das Regime von Bashar Assad lieferte. Die Firma Qosmos muss sich in Frankreich tatsächlich in einem Prozess wegen möglicher Beteiligung an Kriegsverbrechen und an Folter verantworten.
Das Zementwerk von Lafarge, das derzeit offenbar vom US-Militär als Ausbildungsstätte für neue Kämpfer genutzt wird, stand an dem Abend in der Volksbühne aber auch Pate für den zweiten Themenkomplex: den kommenden Wiederaufbau. Regisseur Al Attar konstatierte eine Angst davor, weil der Wiederaufbau, so wie er sich gegenwärtig andeute, eben über die Tische und Bankkonten der gegenwärtigen Machthaber in Damaskus geht. „Wir müssen aber darüber reden. Wir brauchen einen Diskurs über den Wiederaufbau und eine Road Map, nach der dies geschehen soll“, forderte Al Attar.
Den substantiellsten Beitrag hierfür lieferte Alsalmoni, Juristin beim Syrian Legal Decelopment Programme (SLDP). Sie erarbeitet einen juristischen Kriterienkatalog für den Wiederaufbau. „Zentraler Aspekt ist dabei, dass keine Kriegsverbrecher von den Projekten profitieren. Firmen müssen verpflichtet werden, die Menschenrechte zu achten. Die Zivilgesellschaft muss eine wichtige Rolle beim Monitoring übernehmen. Wir brauchen auch wirksame Antikorruptionsgesetze“, sagte die in England ausgebildete syrische Juristin. Sie berichtete auch von Aufmerksamkeitskampagnen bei internationalen Unternehmen, die in den Startlöchern für die Wiederaufbauprogramme stehen. „Auf einer Messe in Jordanien zum Thema Wiederaufbau wiesen wir die Unternehmen auf das Risiko hin, sich mit ihren Projekten an der gewaltsamen Vertreibung von Menschen zu beteiligen“, erzählte sie.
Hintergrund ist, dass vielen Syrern, die durch den Krieg vertrieben wurden, der Nachweis der Eigentumsrechte an Grund und Boden schwer fällt. Syriens neues Eigentumsgesetz, bekannt als „Gesetz Nr. 10“, gibt den Behörden sogar das Recht, in sogenannten Wiederaufbauzonen selbst die Eigentümer, die ihre Rechte glaubhaft machen können, mit Anteilsscheinen abzuspeisen. Kritiker werten dies als Lizenz zur Massenenteignung.
Der Unmut vieler Exilsyrer, sich mit dem Wiederaufbau zu beschäftigen, ist angesichts solcher Konstellationen verständlich. Ohnmacht gestaltet aber nicht. Daher sind Gesprächsinitiativen wie die von Al Attar und Aktivitäten wie die von der SLDP eminent wichtig. Sonst wird das Szenario, dass die Gewinner des Kriegs, die an der Macht gebliebenen Gegner der Demokratiebestrebungen, auch die ökonomischen Sieger des Friedens werden, zwangsläufig Realität.
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