: Ein Wolf, ein Löwe und der Jazz
In der Dokumentation „It Must Schwing – The Blue Note Story“ erzählt Eric Friedler die Geschichte des berühmten Jazz-Labels
Von Wilfried Hippen
Der Jazzmusiker Herbie Hancock macht vor der Kamera ein paar schlurfende Schritte und wackelt dabei schlaff mit dem Körper. So bewegte sich Francis Wolff, einer der Gründer des Jazzlabels „Blue Note“, wenn er bei einer der Aufnahmesessions zufrieden war. Tanzen konnte er nicht, aber er hatte ein gutes Gefühl für den Groove. Und die Musiker blickten zu ihm hin, um zu sehen, ob sie gut spielten. „It must schwing“, sagte sein Freund Alfred Lion, der nie seinen schweren deutschen Akzent verlor.
Hancock und andere noch lebende Jazzgrößen wie Sonny Rollins, Ron Carter, Quincy Jones oder George Benson erzählen davon, wie es zuging bei diesen Plattenaufnahmen und welches Verhältnis die beiden Besitzer des Plattenlabels zu ihren Musikern hatten. Und sie alle reden mit zärtlicher Zuneigung von den zwei Juden, die ihre Musik aufnahmen und bekannt machten. Wolff und Lion liebten den modernen Jazz. Geld war ihnen nicht wichtig, aber die Musik, die ihnen gefiel, wollten sie unbedingt aufnehmen.
Ihre Geschichte und die ihres Labels erzählt Eric Friedler in seiner Dokumentation „It Must Schwing – The Blue Note Story“. Aber er erzählt auch viel mehr. Sein Film ist die Geschichte einer großen, lebenslangen Freundschaft, ein Zeugnis des Rassismus in den USA zwischen den 40er- und 60er- Jahren des 20. Jahrhunderts und eine große Liebeserklärung an den Jazz.
Alfred Löw und Frank Wolff wurden 1908 in Berlin geboren und begeisterten sich in den 1920er- und 1930er-Jahren für den Jazz. Der Film zeigt die Initialzündung ihrer Leidenschaft mit einer Reihe von animierten Sequenzen, in denen die beiden jungen Männer sich in Nachtclubs stehlen und dort große Swingbands sowie Josephine Baker mit ihrem Bananentanz sehen.
Als Juden migrierten sie nach der „Machtergreifung“ durch die Nazis in die USA. Der clevere Löw schon sehr früh und der zaghafte Wolff erst 1939 mit dem letzten Dampfschiff, auf dem noch eine freie Ausreise möglich war. In New York entdeckten sie den von Afroamerikanern gespielten modernen Jazz und obwohl sie sehr arm waren, organisierten sie Aufnahmesitzungen und brachten Schallplatten von ihren Idolen wie Sidney Bechet heraus.
In einem Interview, das ein Reporter des NDR in den 1960er-Jahren mit den beiden machte, erzählt Wolff, wie er damals von Laden zu Laden ging, um ihre Platten zu verkaufen, und wie stolz er war, als er einmal eine Bestellung von 30 Platten bekam. Dieses Interview ist ein gutes Beispiel für die Qualität der Quellen, die Friedler gefunden hat, und wie geschickt er sie nutzt.
Über 20 Zeitzeugen hat er befragt, darunter neben Jazzmusikern auch den Tontechniker Rudy van Gelder, den Jazzproduzenten Michael Cuscuna und einen Neffen von Francis Wolff. Doch der Film wird nie zu einer Galerie von sprechenden Köpfen, denn seine Protagonisten haben kurze und prägnante Auftritte und immer wieder hört man die Musik, die sie für Blue Note eingespielt haben. Die über 80-jährige Sängerin Sheila Jordan interpretiert sogar auf einer Bühne eine ihrer zeitlosen Balladen.
Als aus Deutschland geflohene Juden hatten Lion – so nannte sich Löw in den USA – und Wolff einen scharfen Sinn für rassistische Ungerechtigkeiten. Selbst im vermeintlich liberalen New York der Nachkriegszeit wurden Afroamerikaner extrem diskriminiert. „Sie kamen vom Faschismus in die Apartheid“, sagt einer der Protagonisten.
Die Blue-Note-Aufnahme von Jackie McLeans „Let Freedom Ring“ mischt Friedler mit Ausschnitten der Rede von Martin Luther King mit dem gleichen Titel. So macht er deutlich, dass man die Musik des Labels über die Jahre auch als den Soundtrack der schwarzen Bürgerrechtsbewegung hören kann.
Erich Friedler ist ein Dokumentarfilmer, der lieber mit Bildern als mit Tönen erzählt. Bei seinen beiden vorherigen Produktionen konnte er aus dem Vollen schöpfen, weil sie Filme über Filme waren. In „Der Clown“ erzählte er von Jerry Lewis’gescheitertem Holocaust-Filmprojekt und in „Eskimo Limon“ die Geschichte der erfolgreichsten israelischen Filmreihe aller Zeiten, „Eis am Stil“.
Doch bei „It Must Schwing“ geht es um Musik, das wichtigste Material sind also Schallplattenaufnahmen, zu denen es keine Bilder gibt. Die Alben hatten zwar grandiose Cover mit Fotos von Francis Wolff, die vom Grafiker Reid Miles gestaltet wurden und im Film in einer mitreißend animierten Sequenz gefeiert werden.
In Ottersberg nachgebaut
Überhaupt nutzt Friedler Animationen als zentrales Element, um die Musik auch visuell erfahrbar zu machen. Den Auftrag dafür gab er Rainer Ludwigs mit seiner kleinen Firma Image Building in Ottersberg bei Bremen. 32 von den 152 Minuten des Films bestehen aus am Computer generierten Bildern, bei denen Ludwigs mit einer Akribie für Details ans Werk ging, die für einen Dokumentarfilmer selbstverständlich, für einen Trickfilmer aber ungewöhnlich sind.
Ludwigs arbeitete mit großen Panoramabildern, etwa von der Einfahrt eines Ozeandampfers in den Hafen von New York oder einem Konzert in der vollbesetzten Carnegie Hall. Dafür musste er sowohl die Stadtlandschaft als auch den Konzertsaal digital nachbauen und mit tausenden winkenden oder applaudierenden Menschen bevölkern.
Vom Berlin der 1920er-Jahre bis zum New Yorker Harlem der 1960er-Jahre musste er historisch authentische Straßen, Autos, Kleidungstücke und Requisiten nachbilden. Dafür sammelte Ludwig Tausende von Fotos und kreierte über 700 Charaktere.
Für die Sequenzen, in denen Jazzlegenden wie Sidney Bechet, Thelonious Monk, Art Blakey und Bud Powell mit ihren Bands spielen, wurden Musiker gefilmt, die deren Soli auswendig lernten und so präzise wie möglich nachspielten, sodass die animierten Musiker erstaunlich synchron zu den alten Aufnahmen ihre Instrumente zu spielen scheinen. Und so schwingen auch die digitalen Schattenbilder der Stars von Blue Note.
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