: Arme Familien leben besser in Schweinfurt
In einigen Kommunen des CSU-regierten Bayerns wird das bayerische Familiengeldnicht auf Hartz IV angerechnet. SPD-Bundesminister Heil rügt die „Wahlkampfnummer“
Aus Berlin Barbara Dribbusch
Seit dem 1. September ist es besser, in Ingolstadt zu leben oder in Schweinfurt. Jedenfalls, wenn man Hartz-IV-EmpfängerIn ist und kleine Kinder hat. Die beiden Städte gehören wie Erlangen und Kaufbeuren sowie einige Landkreise zu den sogenannten Optionskommunen und diese Gemeinden verrechnen die neue bayerische Sozialleistung, das Familiengeld, nicht mit Hartz IV. Jedenfalls noch nicht.
„Bei uns wird das Familiengeld nicht auf das Arbeitslosengeld II angerechnet“, sagt Ingrid Schmutzler, Sprecherin der Stadtverwaltung Ingolstadt. „Im Landkreis Ansbach wird ausgezahlt wie immer“, berichtet auch eine Sprecherin des Landkreises Ansbach.
Immerhin 250 Euro pro Monat gibt es ab 1. September vom bayerischen Staat pro Kind, ab dem 13. Lebensmonat, maximal zwei Jahre lang. Ab dem dritten Kind sind es sogar monatlich 300 Euro. Das Geld wird vom staatseigenen Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) direkt an alle Eltern mit Kindern in diesem Alter überwiesen.
Den meisten Hartz-IV-Empfängern in Bayern nutzt die neue Sozialleistung aber nichts: Sie müssen das Familiengeld beim Jobcenter angeben. „Das Familiengeld gilt als Einkommen und wird mit der Leistung verrechnet“, sagt Olga Saitz, Sprecherin der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit. Diese Empfänger kriegen dann nur noch ein um das Familiengeld gemindertes Hartz IV.
93 Jobcenter gibt es in Bayern, 83 davon unterstehen der Bundesagentur für Arbeit und sind damit dem Bundesarbeitsministerium nachgeordnet. In diesen Jobcentern wird angerechnet. Zehn Jobcenter aber gehören zu den sogenannten Optionskommunen. Diese führen ihre Jobcenter in Eigenregie unter Aufsicht des bayerischen Staates. Von dort kam die Anweisung, Hartz IV wie bisher auszuzahlen und nicht zu mindern bei Eltern, die neuerdings das Familiengeld beziehen.
Doch dieser Alleingang Bayerns ist höchst strittig. Für SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ist die Nichtanrechnung des bayerischen Familiengeldes auf Hartz-IV-Leistungen in den Optionskommunen „eine Wahlkampfnummer“ angesichts der kommenden bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober. Heil droht, dass das Bundesarbeitsministerium die durch die Nichtanrechnung angeblich zu viel gezahlten Hartz-IV-Gelder zurückfordern könnte. Hartz IV ist zum größten Teil eine Leistung des Bundes.
Doch in den Optionskommunen bleibt man cool wie ein gallisches Dorf, das von Römern umzingelt ist. „Es gilt der Vertrauensschutz“, erklärt Schmutzler in Ingolstadt. Dass der Bundesarbeitsminister unter Umständen eine rückwirkende Anrechnung des Familiengeldes auf die Hartz-IV-Leistung fordern könnte, werde an die Empfänger „nicht kommuniziert“.
Die Bayerische Staatsregierung ist der Überzeugung, dass eine Anrechnung des Familiengeldes auf Hartz IV nicht in Betracht komme, weil das Familiengeld nicht den Zweck der „bloßen Existenzsicherung“ verfolge wie Hartz IV, sondern Eltern einen „größeren finanziellen Gestaltungsspielraum“ eröffnen soll in der „frühen Erziehung und Bildung der Kinder einschließlich gesundheitsförderlicher Maßnahmen“. So steht es im Bayerischen Familiengeldgesetz.
Der Streit zwischen der bayrischen CSU-Landesregierung und dem SPD-Bundesarbeitsminister erinnert an einen alten Konflikt: Bis zum Jahre 2011 wurden das staatliche Elterngeld und zuvor auch das sogenannte Erziehungsgeld nicht auf Hartz-IV-Leistungen beziehungsweise die frühere Sozialhilfe angerechnet. Eine Alleinerziehende konnte zeitweise bis zu zwei Jahre lang monatlich 300 Euro Erziehungsgeld zusätzlich zur Grundsicherung für sich und ihr Kind beziehen. Diese Nichtanrechnung wurde dann im Rahmen der Spargesetze gekippt. Elterngeld und Kindergeld werden heute immer auf die Hartz-IV-Leistungen angerechnet, was Vertreter von Grünen und Linken immer wieder kritisieren.
Es ist eine Ironie, dass nun ausgerechnet die CSU, nicht gerade als Kämpferin für Hartz-IV-BezieherInnen bekannt, als Partei mit dem größten Herz für Sozialschwache dasteht. Fragt sich nur, wie der Streit ausgeht, wenn die bayerische Landtagswahl gelaufen ist.
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