piwik no script img

Stimulation fürs Götterhirn

Die chinesische Multimediakünstlerin Lu Yang erschafft aus alten Götter-Gestalten, Hirnforschung und Popkultur ein knallbunt-bilderrauschendes Video-Universum

Schreiend bunter Asia-Pop: Lu Yang bringt in ihrer Bilderwelt Mythologie und Medizin zusammen Foto: Lu Yang

Von Hajo Schiff

Nehmen die Götter Drogen? Oder sind sie selbst Drogenvisionen? In schreiend buntem Asia-Pop zeigt Lu Yang aus Schanghai eine weitere Möglichkeit: Die Götter repräsentieren energetische Kräfte, die die Menschen verbessern können. Und das kann hier auch als eine magische Verbildlichung der Erkenntnisse der Neuromedizin verstanden werden. Hinter dem partykompatiblen Bilderrausch der im Kunstlabor für virtuelle Realität der chinesischen Akademie der Künste in Hangzhou ausgebildeten Künstlerin steht also ein Bezug sowohl auf die traditionelle asiatische Mythologie und Medizin wie auch auf die neueste Hirnforschung.

In der Video-Installation in dem seit drei Jahren bestehenden Kunstraum Âme Nue an der Schaarsteinwegsbrücke flankieren Tempelflaggen und ein Neo-Mandala die Screens mit den als Comic-Superhelden neu design­ten Göttern der vier traditionellen Elemente: Feuer, Wasser, Erde und Luft. Und während im Keller einer der Filme genauer erklärt, wie sehr solche alten Ideen mit den Schmerzpunkten des Nervensystem zusammenhängen, zeigt ein Mitschnitt einer grellen und lauten Liveperformance samt DJ und VJ, dass aller religiöse und wissenschaftliche Bezug auch viel Raum für dynamischen Spaß lässt.

Popkultur ist ein Weg, diese Multimediawelt zu verstehen. Aber die hat, besonders in Asien, auch ihre tiefen Wurzeln. Schon die mehrtausendjährigen Gestaltungen der hinduistischen Götter und ihrer in den Buddhismus eingewanderten Ableitungen hatten eine oft drastische, bunte und auch sehr populäre Bildsprache: Vielarmigkeit, Totenkopfketten und Bewaffnungen aller Art, Flammenaureolen und Darstellungen des Schwebens und Fliegens und der Multipräsenz. Selbst das in der Medienwelt gern benutzte Wort Avatar kommt ja aus dem Sanskrit und dem hinduistischen Kontext.

Die Ausstellung in der Hamburger Galerie steht im Zusammenhang der diesjährigen „ChinaTime“: Lu Yangs Arbeiten sind ein gutes Beispiel, wie das aktuelle China sich die Freiheit nimmt, alles Alte, auch die buddhistischen und hinduistischen Traditionen, neu zu interpretieren und umzuformen.

Das bei einer Künstlerresidenz im indischen Goa entstandene Video „God of the Brain“ zeigt das ganz direkt. Erst wird in Schwarz-Weiß – wie ein alter völkerkundlicher Film – ein traditioneller Tanz nachgestellt, wie er zur Verehrung des göttlichen Hindu-Kriegers Virbhadra, einer Erscheinungsform des nach Brahma und neben Vishnu höchsten Gottes, des zugleich schöpfenden und zerstörenden Shiva aufgeführt wurde.

Dann füllt sich die Szene langsam mit Farbe und wird mit Manga-artig neukombinierten Geisterfiguren virtueller Realität besetzt und in die Vorstellungswelt von Lu Yang verwandelt. Deren medial neukonstruiertes Universum ist auch jederzeit über die Seite www.luyang.asia zugänglich, auch einige der Videos sind dort aufrufbar.

Alltagserfahrungen mit dem Einwirken von Geistern und Göttern zu erklären, ist eine uralte Methode, die Welt begreifbar zu machen. So galten beispielsweise Hirngeschädigte eben als von Dämonen besessen. Heutige wissenschaftliche Erklärungen haben dagegen den Nachteil, dass sie meist sehr unanschaulich sind. Auch dagegen setzt Lu Yang ihre Multimediakunst ein. So geht es im „TMS exorcism“ um die Möglichkeit, kleine Verrücktheiten wie das Tourette-Syndrom mit magnetischer Hirnstimulation zu lindern oder zu heilen. Und die neuen Götter tragen nun statt einer Strahlenaureole einen Kranz von solchen Stimulationsnadeln.

Letztlich scheint es ohnehin nicht das Ziel, bloß neue personalisierende Bilder für lebensbedingende Energien zu finden, sondern mit Hilfe eines Wissenschaftsglaubens den Menschen ein wenig mehr selbst zum Gott zu machen. Und die Optimierung und elektronische Kontrolle der Menschen ist ja in mancher Hinsicht ohnehin derzeit eine der Ideen, die gerade China beängstigend dynamisch vorantreibt.

Bis Sa, 15. 9., Galerie Âme Nue

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen