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Essen gegen Schmerzen

In Deutschland haben geschätzt rund 20 Millionen Menschen eine „Krankheit des rheumatischen Formenkreises“. Die richtige Ernährung hemmt die Entzündungen

Schlamm ist ein altbewährtes Mittel gegen Rheuma. Aber auch Fisch, Gemüse und Nüsse können helfen Foto: United Archives Internatio/imago

Von Kristina Simons

Rheuma hat viele Facetten, es kann Knochen, Gelenke und Knorpel betreffen, Muskeln, Bänder und Sehnen, das Bindegewebe oder auch Organe und Nerven. Menschen aller Altersklassen, selbst Kinder, können Rheuma bekommen. 20 Millionen Menschen haben nach Schätzungen allein in Deutschland eine „Krankheit des rheumatischen Formenkreises“, wie es in der Fachsprache heißt. In der Mehrzahl sind es Frauen. Die meisten rheumatischen Leiden sind chronisch und mit Entzündungen im Körper und wiederkehrenden akuten Schüben verbunden. Hervorgerufen werden die Entzündungen durch fehlgesteuerte Reaktionen des Immunsystems, deshalb sprechen Mediziner auch von einer Autoimmunreaktion. Wie es zu dieser Fehlsteuerung kommt, ist noch immer unklar. Erbliche Faktoren scheinen allerdings eine wichtige Rolle zu spielen.

Rheuma ist meist nicht heilbar, spezielle Therapien können die Krankheitsentwicklung jedoch häufig verlangsamen. Dabei kommt der Ernährung eine wichtige Rolle zu. „Bei Rheuma hilft eine Ernährungsumstellung in den meisten Fällen dabei, die Entzündungsaktivität zu dämpfen und Schmerzen zu lindern“, sagt Manuela Buck, Heilpraktikerin und Diätassistentin an der Uniklinik Ulm sowie Mitarbeiterin bei Ernährungs-Therapie.net. „Verschiedene Inhaltsstoffe von Lebensmitteln können dazu beitragen, dass Entzündungen im Körper entweder gefördert oder gehemmt werden“, ergänzt die Ökotrophologin Bettina Dräger.

Der rheumatische Formenkreis

Die Deutsche Rheuma-Liga spricht von mehr als 100 verschiedenen Erkrankungen, die unter die „Krankheiten des rheumatischen Formenkreises“ fallen, andere sprechen sogar von 200 bis 400 Krankheitsbildern. Sie lassen sich in vier Hauptgruppen unterteilen: Zu den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen gehört zum Beispiel die rheumatoide Arthritis, die zugleich die häufigste Rheumaform ist. Aber auch Kollagenosen (Bindegewebserkrankungen), wie Systemische Sklerose oder Systemischer Lupus Erythematodes, sowie Vaskulitiden (Gefäßentzündungen) fallen unter diese erste Gruppe. Eine weitere Gruppe bilden degenerative Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen wie Arthrose. Zur dritten Gruppe gehören weichteilrheumatische Erkrankungen wie Fibromyalgie, zur vierten Stoffwechselerkrankungen mit rheumatischen Beschwerden wie Gicht und Osteoporose.

Wichtig ist es deshalb, weitgehend auf entzündungsfördernde Nahrungsmittel zu verzichten. Problematisch sind vor allem Botenstoffe, die aus der Arachidonsäure gebildet werden und Schmerzen, Schwellung oder Überwärmung der Gelenke verursachen. Arachidonsäure findet sich ausschließlich in Nahrungsmitteln tierischer Herkunft. Dazu zählen neben Fleisch- und Wurstwaren auch Milch und Milchprodukte, Käse, Sahne und Eier. Die Deutsche Rheuma-Liga rät deshalb dazu, auch auf Eier möglichst zu verzichten und bei den Milchprodukten zu den fettarmen Varianten zu greifen. Arachidonsäure kommt zudem als Vorstufe in Form von cis-Linolensäure in Mais-, Distel- und Sonnenblumenöl vor.

Die Entzündungsneigung wird auch durch Weizenmehlprodukte, Zucker und Frittiertes gefördert, außerdem durch eine zu hohe Zufuhr an Omega-6-Fettsäuren zum Beispiel aus Sonnenblumenöl, Rapsöl oder Margarine. „Wer Rheuma hat, sollte wenig Fleisch und dafür viel Fisch, Gemüse, Nüsse und hochwertige Öle zu sich nehmen“, rät Manuela Buck. „Besonders entzündungshemmend und schmerzlindernd wirken EPA (Eicosapentaensäure) und DHA (Docosahexaensäure), die vor allem in fettem Fisch wie Makrele, Lachs und Hering sowie in Fischöl oder auch in Algenöl stecken.“ EPA und DHA gehören zu den wertvollen Omega-3-Fettsäuren. Empfehlenswerte Omega-3-reiche Öle sind Lein-, Raps-, Hanf- und Walnussöl. Die dort enthaltene alpha-Linolensäure wird zum Teil in DHA und EPA umgewandelt. „Diese Öle dürfen aber nicht erhitzt werden, da sich dann schädliche Transfettsäuren bilden können“, warnt Buck. Zum Anbraten eigneten sich deshalb vor allem gesättigte Fette wie kaltgepresstes Kokosöl.

Guter Appetit

Wichtige Nahrungsmittel für Rheumatiker sind Vollkornprodukte (Vollkornbrot, Haferflocken, Vollkornnudeln und -reis), Hülsenfrüchte, zuckerarme Obstsorten (wie Beeren, Rhabarber, Zitronen, Orangen), ungesalzene Nüsse jeglicher Art, Lein- und Weizenkeimöl, grüner Tee und Kräutertees. Wer auf Fleisch nicht komplett verzichten will, sollte vor allem zu Geflügel greifen. Selten gehen auch Rind, Kalb und Wild. Ganz verzichten sollten Rheumatiker auf Schweinefleisch, das besonders viel Arachidonsäure enthält, sowie auf paniertes Fleisch. An Fischen eignen sich von Aal über Lachs bis Zander fast alle. Sie enthalten wichtige Omega-3-Fettsäuren. Nur panierter und in Mayonnaise oder Sahne eingelegter Fisch bekommt Rheumakranken nicht gut. Auf zuckerhaltige Getränke sollten Rheumatiker ebenfalls verzichten wie auch auf Alkohol.

Antioxidantien wirken ebenfalls entzündungshemmend. „Rheumatiker haben einen erhöhten Bedarf an Antioxidantien, die sogenannte Sauerstoffradikale abfangen, denn diese Sauerstoffradikale können bei entzündlichen Prozessen vermehrt entstehen“, sagt Bettina Dräger. Sie sind in Gemüse, Gewürzen, Kräutern, bestimmtem Obst (wie Beeren) und dem Vitamin E aus dem Weizenkeim enthalten. Erfreulicherweise stecken sie auch in dunkler Schokolade mit mindestens 70 Prozent Kakaoanteil sowie in Rotwein, die deshalb in Maßen auch für Rheumatiker in Ordnung sind. Wertvolle Antioxidantien schützen übrigens zugleich vor schädlichem LDL-Cholesterin. Es entsteht durch Oxidation, die durch Entzündungen im Körper oder auch durch Umwelteinwirkungen wie Stress oder Abgase ausgelöst werden kann. Durch Kohlehydrate im Essen kann sich das schädliche Cholesterin vermehren und dann in den Gefäßen einlagern. Dadurch verkalken wiederum die Arterien, was zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder einem Schlaganfall führen kann.

Bei Autoimmunerkrankungen wie Rheuma komme auch dem Darm eine wichtige Rolle zu, so Buck. „Die Darmflora kann Entzündungsreaktionen dämpfen.“ Eine Darmsanierung mithilfe von Milchsäurebakterien sei deshalb sinnvoll. Diese entstehen zum Beispiel durch Milchsäuregärung von Gemüse, das dadurch zugleich haltbar gemacht wird. Sauerkraut ist wohl das bekannteste Beispiel dafür, aber auch viele andere Gemüsesorten lassen sich einsäuern. Eine flüssige Alternative ist Brottrunk. Wichtig ist generell eine möglichst ausgewogene Ernährung. Die Deutsche Rheuma-Liga warnt deshalb vor einseitigen Rheumadiäten, da sie dazu führen können, dass dem Körper wesentliche Nährstoffe vorenthalten werden.

Die Deutsche Rheuma-Liga zu Ernährung: www.rheuma-liga.de/ernaehrung

Rezepte: https://www.ndr.de/ratgeber/kochen/rezepte/rezeptdb238.html

Individuelle Onlineernährungsberatung und -therapie unter anderem bei Rheuma: Ernährungs-Therapie.net. Der Dienst arbeitet mit Ärzten und Krankenkassen zusammen

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