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Fenster zur Seele

Das Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück zeigt Arbeiten von Yury Kharchenko. Seine Bilder sind Blicke in eine widersprüchliche Gefühlslage – und geprägt von antisemitischen Anfeindungen

Von Anne Reinert

Ein Seelenleben ist kompliziert. Und so ist es kein Wunder, dass auch der Blick auf Yury Kharchenkos Bilder erst einmal verwirrend ist. Denn was ist darauf überhaupt zu sehen? Oft malt Kharchenko im großen Format Hausformen, schon klar. Aber geht der Blick nach innen? Oder nach außen? Auf einen Sternenhimmel? Oder auf einen See?

Die Arbeiten haben eine geradezu magische Anziehungskraft. Das liegt auch daran, dass sie so farbenfroh sind. Sie bestehen aus kräftigen Tönen wie Rot oder Violett und wechseln dann in dezentere Stimmungen. Auch die Formen sind wechselhaft. Mal sind sie klar abgegrenzt, dann wieder fließt die Farbe die Leinwand hinunter und lässt alles unter sich verschwimmen.

Ein schnelles Vorbeihuschen an diesen Bildern im Osnabrücker Felix-Nussbaum-Haus ist nicht möglich. Dort werden sie unter dem Titel „Kein Ort Zuhause“ gezeigt. Um dem Geheimnis von Kharchenkos Kunst auf den Grund zu kommen, ist genaues Hinschauen nötig. Es ist ein Blick in eine Seelenlandschaft voller widersprüchlicher und vielfältiger Gefühle. Trauer, Fröhlichkeit, Ironie und Witz – das alles ist auf seinen Bildern wiederzufinden.

Die Arbeiten stehen auch für die künstlerische Entwicklung des gerade mal 32 Jahre alten Malers. Seine frühen „Magic Windows“ seien etwa „aus meiner Jugendlichkeit und meiner Beschäftigung mit Marc Chagall“ entstanden. Von ihm hat Yury Kharchenko die Farbenfreude und das Lyrische in seinen Bildern sowie die fließenden Elemente. Aber auch Paul Klee ist ein wichtiger Einfluss.

Yury Kharchenkos Bilder sind aber auch das Ergebnis der Auseinandersetzung mit seiner russisch-jüdischen Identität. Ende der 1990er-Jahre kam er mit seinen Eltern aus Moskau nach Deutschland, wuchs in Dortmund auf. An der Kunstakademie Düsseldorf wurde er zum ersten Mal mit Antisemitismus konfrontiert. „Mir wurde vorgeworfen, es sei etwas Jüdisches und Spirituelles in meinen Bildern“, sagt er. „Dein kultureller Hintergrund hat nichts mit Kunst zu tun“, bekam er zu hören. Da war er gerade 18 oder 19. Seine jüdischen Wurzeln hatten für ihn nie eine Rolle gespielt. 1986 war er in einem sozialistischen System geboren und atheistisch aufgezogen worden.

Yury Kharchenkos Bilder sind auch das Ergebnis der Auseinandersetzung mit seiner russisch-jüdischen Identität

Nachdem Yury Kharchenko auch noch von Neonazis verprügelt worden war, flüchtete er nach Berlin. „Das war ein psychischer Schock“, sagt er. Bis heute lebt er in der Hauptstadt. Antisemitische Anfeindungen erfährt er immer wieder. „Das sehe ich inzwischen als normal an“, stellt er nüchtern fest.

Die Anfeindungen führten aber auch dazu, dass er sich mit seinen Wurzeln auseinandersetzte. Wenn Kharchenko davon erzählt, fallen eine ganze Reihe an Namen, die Einfluss auf ihn hatten. Neben Chagall und Klee sind das die US-amerikanischen Maler Mark Rothko und Barnett Newman. Aber auch der Lyriker Paul Celan oder Religionsphilosoph Martin Buber und der Dekonstruktivist Jacques Derrida spielen eine Rolle.

Auch das Felix-Nussbaum-Haus spielt eine Rolle in Kharchenkos Werdegang. Denn irgendwann fiel ihm der Katalog der Sonderausstellung „Die verborgene Spur“ in die Hand. 2008 hatte das Nussbaum-Haus mit der Schau seinen zehnten Geburtstag gefeiert. Gezeigt wurden unter anderem Bilder von Mark Rotko und Marc Chagall, Künstler also, die als weltliche Maler wahrgenommen werden, deren Bilder aber auch von ihrer jüdischen Identität geprägt sind.

Einige Wochen nach dem 20. Geburtstag des Felix-Nussbaum-Hauses im Juli hängen nun Kharchenkos Bilder im großen Saal und auf einem Gang des Museums. Die Sonderausstellung schließt sich an eine mehrwöchige Feier an, mit der das runde Jubiläum des von Daniel Libeskind entworfenen Gebäudes gefeiert wurde. Denn das ist ein Kunstwerk für sich. Libeskind hat ein dekonstruktivistisches Gebäude mit toten Winkeln und schiefen Linien entworfen. Kharchenkos Bilder und Libeskinds verwirrende Architektur passen also perfekt zueinander.

Das Felix-Nussbaum-Haus war das erste Gebäude von Libeskind überhaupt, das fertiggestellt wurde. Zwar war mit dem Bau des ebenfalls von Libeskind entworfenen Jüdischen Museums in Berlin schon früher begonnen worden, doch es wurde erst 2001 eröffnet.

Weil zum 20-jährigen Bestehen die Museumsarchitektur selbst gefeiert werden sollte, wurden Nussbaums Bilder abgehängt. Für 20 Tage bespielten stattdessen lokale Künstler und andere Akteure wie Parkour-Sportler das Museum. So sollten vor allem die Osnabrücker ins Felix-Nussbaum-Haus geholt werden. Denn eine Umfrage hatte gezeigt, dass sie eher selten dorthin gehen. Der Plan ging mit rund 3.700 Besucher*innen in fast drei Wochen auf. Das Nachsehen hatten die Museumsgänger*innen, die extra wegen der Bilder Nussbaums gekommen waren.

Nun hängen in den meisten Räumen wieder Nussbaums Bilder, darunter auch sein berühmtes „Selbstbildnis mit Judenpass“. Der Maler, 1904 in Osnabrück geboren, musste vor den Nazis ins Exil flüchten, malte selbst im Versteck in Belgien. Seine Bilder zeugen von den Ängsten vor den Verfolgern, aber auch von einer selbstbewussten Behauptung als Maler.

Für die Kharchenko-Ausstellung müssen einige Nussbaum-Bilder vorerst weiter im Depot bleiben. Sein „Krug am Fenster“ aber hängt neben Kharchenkos Arbeiten und zeigt die Parallelen zwischen beiden. Denn die Maler verbindet mehr als das Fenstermotiv: Der junge Nussbaum bildete mit dem Motiv eines zersplitterten Fensters und der Stadtansicht dahinter nicht einfach nur ab, was er sah, sondern drückte auch Stimmungen aus – genau wie Kharchenko.

„Kein Ort Zuhause“: bis Sonntag, 18. November, Felix-Nussbaum-Haus, Osnabrück www.museumsquartier-osnabrueck.de

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