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Sie wollen lesen

DIE LEHRERIN Ines Kurz unterrichtet seit 18 Jahren an einer Grundschule in Oldenburg. Der Moment, in dem Kinder begreifen, wie Lesen geht, ist für sie ein Highlight

Du brauchst, um überhaupt lesen lernen zu können, gewisse Voraussetzungen. Neugier etwa. Oder die Bereitschaft, dich mit so was Kleinem wie Buchstaben zu beschäftigen. Methoden, wie man lesen lernt – sei es durch Buchstabenvergleiche, mit Anlauttabellen oder durch Schreiben – gibt es viele, das ist nicht wesentlich. Ich würde sagen, das Wichtigste, um es zu lernen, ist die Motivation.

Und die Motivation ist meistens da, wenn die Kinder eingeschult werden. Sie wollen lesen. Sie freuen sich darauf. Wenn sie verstanden haben, dass in ihrer Umwelt ganz viel mit Lesen passiert – es ist natürlich günstig, wenn das den Kindern zu Hause schon zugetragen wird – dann haben sie Lust, lesend teilzunehmen an der Umwelt. Lesen ist ganz elementar: Ohne geht gar nichts.

Der Lehrer oder die Lehrerin bringt den Stein ins Rollen. Das Kind muss die innere Motivation aufbringen, mitzumachen, sich leiten zu lassen von uns, und irgendwann klickt es. Manche brauchen lange, und manche können es ganz schnell. Machtlos sind wir nicht. Du kannst ganz viel Input geben, damit es zu diesem Klick kommt. Höchstens in Bezug auf die Zeit sind wir machtlos, weil wir ja wirklich häufig mit ganz vielen Kindern dasitzen und ganz wenig Zeit haben. Die Kinder könnten eigentlich viel besser gefördert werden.

Wann klickt es? Das ist bei jedem anders. Was den Auslöser letztendlich bringt, das weiß wirklich keiner. Es ist ja so: Irgendwann haben die Kinder verstanden, wie das System funktioniert. Wenn das passiert ist, heißt das aber ja noch nicht, dass sie dann richtig lesen und große Texte verstehen können. Da sind wir dann wieder gefragt. Dann üben wir und trainieren. Wir wollen auch, dass die Kinder sich das ein Stück weit selbst erarbeiten können. Wenn sie wissen, dass zu einem bestimmten Laut ein bestimmter Buchstabe gehört, dass sie sich das dann selber zusammenpuzzeln können. Bis zu den Herbstferien können viele schon in Ansätzen lesen.

Häufig purzelt das dann wie bei einem Dominospiel, erst fällt ein Stein, dann noch einer: Die Kinder fangen zum Beispiel an, Straßennamen zu lesen oder die Wörter auf Verpackungen beim Frühstück. Und sie freuen sich dann. Dieser Aha-Effekt – die kommen zu dir und sagen, „Guck mal, da steht das“ und „Guck mal, da steht dies“, das ist umwerfend. So ist dieser Moment für uns: Ja, sie haben es! Das ist immer wieder ein Highlight. Die Kinder freuen sich, und wir freuen uns dann natürlich auch. Das ist etwas Besonderes.

PROTOKOLL: JANNIK CARL DETERS

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