berliner szenen: Schick, cool und schlau aussehen
Am Bahnhof Zoo mache ich mir einen Spaß daraus, zu raten, welche der Wartenden mit mir an den Wannsee fahren werden. Das Jüngelchen mit Trench, wundem Blick und erbarmungswürdigem Leinenbeutel lässt mich Billers und Aydemirs Hipstermordfantasien im Geist nochmal durchspielen. Ein anderer, mit Druckfahne auf dem Schoß und regelmäßigem Einkommen – beim Kleidungskauf reicht es für edle Neuware – ist sicher Lektor. Beide sehe ich später am LCB wieder.
In der Getränkeschlange hinter mir steht ein für seine originelle Interviewtechnik bekannter Autor, von dem Radio Eins sogleich ein Buch wissen möchte, das ihn zuletzt „umgehauen“ habe. Er vertröstet, um sich dann mit seiner Begleitung darüber auszutauschen, wie großartig es doch wäre, unerkannt zu sein und „sich die ganzen Idioten mal von außen anzusehen“. Ich drehe mich halb um, lächle ihn an und will gerade entgegnen, dass ich, was für ein Zufall, haha, genau so unterwegs sei und mir grad ein Zwei-Euro-Pfandglas mit Wein drin zum Dran-Festhalten kaufe, pralle aber an seinem harten Blick ab, voll gedisst.
Dabei sehe ich doch heute so schön aus, habe extra den neuen Chanel-Lippenstift drauf, bei dem mich Männer normalerweise so ansehen, als sei ich ein Marmeladenbrot. Aber hier ist nicht der Wedding, ich bin nicht Susanne Schneider, mir sind Blicke oder Nichtblicke von „Männern“ so was von wurscht. Dafür sehe ich tolle junge und tolle alte Frauen. Schick, cool und schlau sehen die aus. Besonders freue ich mich über die coolen Alten, immer auf der Suche nach Rolemodels. Derweil erzählt Biller ins Mikro, dass er nicht verstehen könne, warum Autoren so viele Lesungen machen würden. Natürlich, um nicht am Milchaufschäumer stehen zu müssen, Mann. So abgehoben will ich auch mal sein. Kirsten Reinhardt
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