Ausstellung zu fotografischen Porträts: Weder Geniekult noch simples Fantum
Das Künstlerporträt zeichnet eine heilige Einfalt aus. Die Staatlichen Museen zu Berlin sehen das etwas anders. Nämlich komplex.
Um ehrlich zu sein: Schaut man sich nicht lieber Matisse’ Porträts von Lydia Delectorskaya an als die, die ihn selbst zeigen? Nicht lieber die Porträts ihrer Modelle als die der Künstler selbst? Sind Erstere doch meist jung und attraktiv, während es sich bei Letzteren hauptsächlich um alte weiße Männer handelt, die als solche nicht gerade der Knüller sind.
Sie sind eben Genies. Schöpfer von einzigartigen Meisterwerken und dank diesem Vermögen, das leider bei jungen Menschen kaum, bei nichtweißen Männern und Frauen egal welcher Hautfarbe gar nicht zu beobachten ist, geradezu Gott gleich. Weshalb das Künstlerporträt auch eine heilige Einfalt auszeichnet.
Die Staatlichen Museen zu Berlin, die dem Künstlerporträt im Fotomuseum derzeit eine Ausstellung widmen, sehen das naturgemäß etwas anders. Nämlich komplex. Dazu bemühen sie Carl Gustav Jung im Ausstellungstitel „Künstler Komplex. Fotografische Porträts von Baselitz bis Warhol. Sammlung Platen“. So hoffen sie dem Anachronismus des Geniekults einerseits zu entkommen und andererseits den Eindruck simplen Fantums zu vermeiden.
Das gesellschaftliche Gesicht des Menschen
Von C. G. Jung stammen die Begriffe „Komplex“ − als psychisch bedeutendes Gefühls-, Gedanken- und Erinnerungsgefüge, das aus dem Unbewussten wirksam wird – und für das erste Ausstellungskapitel „Persona“. Damit ist das gesellschaftliche Gesicht des Menschen gemeint, die soziale Rolle – abgeleitet von der Maske im griechischen Drama, durch die der Schauspieler hindurchspricht, abgeleitet von „personare“, hindurchtönen. Laut Wandtext gelingt mit Hilfe dieses Jung’schen Instrumentariums „gleichsam eine Schau in den Kopf der Künstlerinnen und Künstler“.
Nun ja. Eigentlich genügte es ja, von den Mühen des Porträts zu sprechen, für das zu sitzen oder zu stehen in der modernen Welt unumgänglich ist – wer dem Gebot trotzt, wird allein deshalb noch um Potenzen berühmter, man denke nur an Thomas Pynchon oder Martin Margiela. Es reichte von den Erwartungen zu sprechen, mit denen es befrachtet wird: etwa gleich in den Kopf und nicht nur auf den Kopf zu schauen, in jedem Fall aber an seine komplexe Wahrheit, die es über die Abgebildeten aussagen soll.
All das fordert sowohl die Porträtierten wie die Porträtisten heraus und überfordert sie oft genug. Liegt darin nicht genug Rechtfertigung, sich einmal genau anzuschauen, wie sie das machen, die Künstler und Künstlerinnen und die Fotografen und Fotografinnen, wenn sie sich zur Porträtsitzung treffen?
Für ihre Künstlerporträts bekannt
Angelika Platen, die selbst für ihre Porträts von Künstlern wie Gerhard Richter, Sigmar Polke oder zuletzt von Monica Bonvicini oder Julian Rosefeldt bekannt ist, hat das getan. Ihre Sammlung von Künstlerporträts umfasst inzwischen rund 700 Arbeiten. Daraus werden in Berlin nun 180 meist schwarzweiße Porträts, aber auch einige Farbfotografien von 2000 bis zurück ins Jahr 1910 gezeigt.
Da steht Franz von Stuck einem nicht genannten Fotografen Porträt, ganz wie es sich für einen Malerfürsten gehört: Vor der Staffelei mit dem unfertigen Gemälde hält er sich im weißen Kittel sehr aufrecht und die Farbpalette in der Hand.
So sieht sie aus, die heilige Einfalt des Künstlerporträts. Und gerade deshalb betrachtet man ein großartiges Bild. Es steckt eben auch viel Demut darin, wie sich Stuck und sein Fotograf der Rollenvorgabe fügen. Nach dem Krieg wird es gleich viel theatralischer, bei August Sander, der 1924 den jungen(!), rheinischen Künstler Gottfried Brockmann versonnen in die Leere blickend vor der Staffelei fotografiert. Und 1928 rückt Emil Bieber dem 35-jährigen George Grosz so auf den Pelz beziehungsweise die Palette, dass der Eindruck intimster Vertrautheit mit dem Maler unvermeidlich scheint.
Nah dran vs. Blick von Ferne
Imogen Cunningham, die − 1975 von Ara Güler fotografiert − erklärend mit den Händen gestikuliert, ist als Fotografin zu erkennen, hängt ihr doch ihre zweiäugige Kamera um den Hals. Ihr Porträt vom türkischen Magnum-Fotografen hat viel Charme. Vielleicht mehr als Cunninghams Close up von Frida Kahlo, das eher wie ein Passfoto wirkt.
Sind also die einen gern nah dran, schauen die anderen lieber von Ferne. Berühmt ist Cartier-Bressons Bild, das Alberto Giacometti im Regen auf der Straße zeigt, er hat seinen Trenchcoat über den Kopf gezogen und wird dadurch selbst zu einer dünnen, hoch aufragenden Figur ähnlich seinen Skulpturen.
Nicht weniger berühmt das Selbstporträt mit Kamera, das Ilse Bing von sich und ihrer Kamera im Spiegel einfing. Überraschend sind dann einige selbstkarikierende Porträts: Salvador Dalí zeigt sich als Meerjungfrau und Otto Dix als vergnügter Bacchus. Aber solche Bilder sind die Ausnahme, die Regel ist der Künstler in Aktion.
Der Goldstandard des Künstlerporträts
Raffiniert die Aufnahme von August Sander, der den Maler Heinrich Hoerle porträtiert, während dieser den Boxer Hein Domgoergen porträtiert. Die Aufnahme des Künstlers mit dem Handwerkszeug, sein Bild bei der Arbeit und das Foto im Atelier, das ist der Goldstandard des Künstlerporträts. Und viel mehr zu versuchen, ist dann auch riskant, denn schnell droht die Gefahr allzu großer Originalität und Prätention.
„Künstler Komplex – Fotografische Porträts von Baselitz bis Warhol. Sammlung Platen“ läuft noch bis 7. Oktober. Museum für Fotografie, Jebenstr. 2, 10623 Berlin. Di - So 11 - 19 Uhr, Do 11- 20 Uhr. Katalog (Kehrer Verlag) 40 Euro
Besonders da, wo man abweichen und Klischees brechen will, hilft es, wenn der oder die Porträtierte bei der Aufnahme mitdenkt und mitspielt. Manchmal reicht es aber, den Mann oder die Frau nur gut zu erwischen. Irving Penn etwa trotzt dem sich verweigernden Picasso in wenigen Minuten ein ikonisches, einäugiges Porträt ab. Das Bild findet sich zwar nicht in der Sammlung Platen, trotzdem erinnert man es gut, hing es kürzlich doch noch bei C/O Berlin.
Es liegt letztlich beim Fotografen und der Fotografin, das Modell aus der Routine oder der Scheu herauszulocken. Die Künstlerin Vera Isler (1931–2015) setzte in den 1990er Jahren Jeff Koons wie Pipilotti Rist mit einer guten Portion Selbstironie derart treffend in Szene, dass Werk und Auftritt der Künstler wirklich zur Einheit werden. Isler verstand eben Werk und Person. Und so schaut man bei den großen Porträts weniger in den Kopf der Aufgenommenen als in den der Fotografierenden.
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