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Alle Songs, die man hören wollte

Tausende Anekdoten trotz Lampenfiebers: Der Brite Green Gartside beschloss am Sonntag mit einem Konzert seiner Postpunk-Band Scritti Politti das Festival Wassermusik im Haus der Kulturen der Welt

Von Andreas Hartmann

„Goodbye UK – and Thank You for the Music“, so lautete das diesjährige Motto des Festivals Wassermusik im Haus der Kulturen der Welt. Und welche Band wäre besser dazu geeignet, zum Schluss bei dieser Verabschiedung und gleichzeitigen Würdigung das Spezielle und Einzigartige britischer Popmusik auf den Punkt zu bringen als Scritti Politti? Diese schlaue Postpunkband der ersten Stunde des britischen Postpunk saugte manisch alles auf von Disco über Reggae bis HipHop, weswegen sie in den Achtzigern von den Pop­intellektuellen verehrt wurde. Aber nicht nur von diesen, die Band hatte sogar ein paar richtige Hits, die heute noch bei „Das waren die Achtziger“-Partys zu hören sind.

Kopf der Band war von Beginn an Green Gartside, schon in jungen Jahren Marxist und Bewunderer von Jacques Derrida, dem er sogar einen seiner Songs widmete. Auftritte von Gartside und seiner Band sind ziemlich rar, weil er bekannt dafür ist, unter Bühnenangst zu leiden. Auch deswegen war man so gespannt darauf, zu erleben, wie er sich denn nun so machen würde auf dem Dach des HKW bei seinem Freiluftkonzert.

Aufreizender Normalo-Look

Doch hätte man nichts gewusst von seinem Lampenfieber in extremer Ausprägung, man wäre nicht darauf gekommen, dass sich der Mann Schöneres vorstellen kann, als live vor Publikum aufzutreten.

Er stand da mit seinen kurzen Hosen, mit Bart und einem aufreizenden Normalo-Look und hielt eine launige Ansprache nach der anderen. Und er spielte sich wahrhaft hingebungsvoll mit seinen drei Mitstreitern durch ein Set von Scritti-Politti-Songs aus beinahe vier Dekaden.

Er erzählte von Miles Davis, den er kannte und bewunderte und mit dem er zusammen spielte. Von seiner Zeit als Jugendlicher, als er die marxistische Bewegung im italienischen Bologna bewunderte. Er reihte eine Schnurre an die andere, und man hörte ihm einfach gern zu, wenn er wie ein Märchenonkel davon berichtete, wie ihm bei einem Aufenthalt in Los Angeles sein damaliger Manager, Peter Asher von dem Schmalz-Duo Peter & Gordon, eine Gitarre in die Hand drückte mit den Worten, das sei die Gitarre von niemand Geringerem als Joni Mitchell.

Zwischen all den Anekdoten packten Gartside und Band alle Songs aus, die man von ihnen hören wollte. „The Sweetest Girl“ etwa und „Perfect Way“. Gartside sang wie immer mit seiner näselnden Stimme, die sich live ähnlich eigenwillig anhörte wie auf Platte. Aber da er inzwischen vor allem Fan von HipHop ist, wie er seinem Publikum nochmals mitteilte, und sich auch selbst in diesem Genre versucht, präsentierte er sich gelegentlich als waschechter Rapper, was man als Zuschauer auch erst einmal verdauen musste.

Und irgendwann, nach seinen tausend Ansagen, die er schon selbst mit einem die eigene Geschwätzigkeit ironisierendem „blah blah“ kommentierte, setzte er ohne große Worte zu einem Song an, der gerade besonders gut passte, zur Hommage von Scritti Politti an eine große Sängerin: „Wood Beez (Pray like Aretha Franklin)“. Man hatte das Gefühl, Green Gartside hätte noch ewig weitermachen können und noch viel mehr Geschichten erzählen wollen. Aber irgendwann ist halt mal Schluss. Goodbye Green Gartside – and thank you for the music.

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