Seehofers „Zuwanderungskorridor“: Korridore und Brücken statt Mauern
Korridore wären ein sicherer Weg über das Mittelmeer. Doch wenn Horst Seehofer davon spricht, ist genau das Gegenteil davon gemeint.
Horst Seehofer macht sich Sorgen – um den Zuwanderungskorridor. Bei der Vorstellung seines sogenannten „Masterplans“ zur Begrenzung Asylsuchender äußerte der Innenminister die Befürchtung, dass der im Koalitionsvertrag vereinbarte „Korridor für Zuwanderung“, also die Begrenzung von 180.000 bis 220.000 Geflüchteten pro Jahr, 2018 überschritten werden könnte. Und das, obwohl im ersten Halbjahr deutlich weniger Menschen nach Deutschland gekommen sind, als im Vorjahreszeitraum.
„Zuwanderung“ (Migration, Einwanderung) ist eine Ableitung von „wandern“ (gehen, reisen), das seit dem 13. Jahrhundert im Mittelhochdeutschen belegt ist. „Korridor“ (Verbindungsgang, Landstreifen) wurde im 18. Jahrhundert aus dem italienischen „corridore“ (Läufer, Laufgang) entlehnt, und geht auf das lateinische „currere“ (laufen) zurück.
Ein Korridor – ein sicherer Weg über das Mittelmeer – ja, das wäre etwas, was dringend nötig wäre, um das Sterben an Europa Grenzen zu beenden. Seehofer hat jedoch nur Angst, dass dieser Korridor überschritten werden könnte – im doppelten Sinne. Der Innenminister nutzt das Wort nicht buchstäblich, sondern in seiner metaphorischen Bedeutung als „flexibler Gestaltungsraum“ – was die von ihm damit gemeinte „Obergrenze“ aber nicht ist. Hier soll nicht gelaufen werden, sondern stillgestanden.
Entweder will er das Reizwort Obergrenze vermeiden, um nicht darauf festgenagelt zu werden, dass diese überschritten wurde oder es einfach abschwächen. Und „Zuwanderungskorridor“ ist noch in weiterer Hinsicht ungenau: Wie schon immer vermischt Seehofer die völlig unterschiedlichen Themen Zu-/Einwanderung und Asyl miteinander, und erweckt so den Eindruck, Asylsuchende hätten weniger Anspruch auf Einreise.
Vermutlich ist sich Seehofer nicht einmal des Zynismus seiner Wortschöpfung bewusst, ähnlich wie seine Freude über die 69 abgeschobenen Geflüchteten nach Afghanistan an seinem 69. Geburtstag. Eine Geisteshaltung, die zur aktuellen Lage passt: Denn weder wird die EU einen Korridor errichten, noch eine Seebrücke, noch sonst etwas, um Geflüchteten sicheres Geleit zu geben – das einzige, was Europa derzeit errichtet, ist eine Mauer aus Toten.
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