Ausgehen und rumstehen von Stephanie Grimm: Müßiggang und Muskeljungs
Man traut sich ja kaum mehr, sich über diesen Sommer zu freuen. Selbst wenn man Hitze nach Wochen noch toll findet. Was 2006 noch Ingredienz des Sommermärchens war, kündigt jetzt die Apokalypse an. Na ja, regnen könnte es mal.
Als Herausforderung dieser Tage erweist sich, das Zeitmanagement dem Klima anzupassen. Zu Hause ist die 30-Grad-Marke geknackt, arbeiten geht erst am Abend in einer lauschigen Ecke draußen im Park. Angesichts der fortgeschrittenen Stunde lockt aber bald der Müßiggang.
Wenigstens ist man in Berlin immer schnell am Wasser, wenn es schon nicht vom Himmel fällt. Am Mittwoch fällt die Wahl aufs Radialsystem. Doch von der Spree weht heute kein Lüftchen ins Gebäude, wo das A-L’Arme-Festival von einer energetisierten, das Publikum zum Schreien motivierenden Laurie Anderson, einem eher schlaffen Bill Laswell und tollen Mitmusikern eröffnet wird. Obwohl es bei ihnen um „Methods of Defiance“ gehen soll, also um Widerstand, klingen sie meistens reibungsarm, auf eine gute Art geradezu groovy. In diesen Klang mag man sich werfen wie in eine Hängematte.
Am Freitag dann die Erkenntnis, dass die Rehydrierung durch Roséwein beim Gartengeburtstag am Vorabend doch nicht folgenlos war. Auf dem Dach des HKW kommen wir erst an, als der Afrobeat-Saxofonist Orlando Julius mit Londoner Jazz-Funk-Combo The Heliocentrics gerade fertig ist. Dafür sorgt die Spree, oder auch das Grün um sie herum, für frische Luft. Beim Screening, das allabendlich das Wassermusik-Festival beschließt, machen wir es uns gemütlich. „Rage“ heißt der didaktische, etwas zusammengeschusterte Film aus dem Jahr 2000, der geboten wird ist. Ein junger Londoner will es als Rapper schaffen, verprellt in seiner Beklopptheit seine Kumpels – und dann fügt sich doch alles. Ein Film, der in die Reihe „Wohlmeinend Soziologisches von der Insel“ passt, die O. und ich gern von Zeit zu Zeit mal fortsetzen, insofern passt auch das.
Auf dem Heimweg dann die lebensechte Version eines „angry young man“. Drei Muskeljungs zanken auf der Potsdamer Straße. Bis einer dem zickigsten Rumpelstilzchen die Luft rauslässt: „Leg dich doch einfach mal ins Bett.“ Der Streithahn zuckt die aufgepumpten Schultern und zieht von dannen. So kann es also auch gehen. Vielleicht muss das eh ruppige Berlin in Sachen Kommunikation bei Hitze einfach noch gecoacht werden.
Am Samstag dann das wunderbare „By The Lake“-Festival im Strandbad Weißensee. Da finden auch innere und äußere Taktung wieder zusammen. Kein Wunder, kann man hier doch schon nachmittags und im Wasser planschend Musik gucken. Trotzdem gebietet der Anstand, bei der ersten Band A Hawk and a Hacksaw direkt vor der Bühne zu stehen – da ist es noch arg leer. Mit mehr Aufmerksamkeit klingt das Balkan-Folk-Duo auch gleich viel interessanter. Der weitere Tag plätschert auf angenehme Weise dahin, wobei die Tuareg-Band Imharan besser ins Ambiente passt als die mit Chor und Kunstwille auftretende Krautrock-Combo Faust.
Den Abschluss macht der Ghanaer Ata Kak, der mit zwanzig Jahren Verspätung zum Popstar wurde. Anfang der 1990er Jahre nahm er eine kühne Mischung aus afrikanischem Highlife, Rap, Ragga und Cheesy Pop auf. Die verstaubte jedoch auf einem Marktplatz in Cape Coast in Ghana, bis sie von Brian Shimkovitz, Inititator des Labels Awesome Tapes from Africa, entdeckt wurde. Ata Kak kann es offenbar immer noch nicht glauben: „That was really good“, sagt er nach jedem Song. Egal ob er sich oder das Publikum meint: Er hat recht.
Aus dem Plätschern wird Ekstase. So schön und rund wie heute war dieser Sommer nur selten. Musik- und sonnentrunken taumeln wir nach Hause. Wie traurig, dass die vierte zugleich die letzte Ausgabe von By The Lake gewesen sein soll.
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