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das portraitNach Knast-Video ist die Anwältin Irina Biryukowa aus Russland geflohen

Foto: ap

Ein Aufschrei geht dieser Tage durch die russische Gesellschaft – dabei geht es um die brutalen Haftbedingungen in russischen Strafanstalten. Und um den Verdacht gezielter Folter. Viele empören sich jetzt darüber, auch in der Politik. Die Kenntnisse von den Umständen in den Knästen sind vor allem einer Person zu verdanken: Irina Biryukowa. Die Anwältin hatte ein Video veröffentlicht, das dokumentiert, wie ihr Mandant Jewgeni Makarow brutal von 18 Wärtern misshandelt wurde. Dass sie in den Besitz dieses Videos gelangt ist, dürfte das Ergebnis mehrmonatiger harter Arbeit sein.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Videos ist markant: Es kam kurz vor einer Sitzung des UNO-Menschenrechtsrates in Genf in Umlauf, sodass sich etliche russische Diplomaten jetzt einer Reihe unangenehmer Fragen ausgesetzt sahen. Und gleichzeitig wurde eben auch die internationale Öffentlichkeit mit folterähnlichen Zuständen in russischen Haftanstalten konfrontiert.

Biryukowa schweigt hartnäckig auf die Frage, wie sie an das Video gelangt sei. Lediglich einmal in ihrem Leben, so die Mutter einer Tochter, habe der Zufall ihr geholfen. Nach ihrem Mutterschaftsurlaub habe sie ein Angebot eines Bekannten, ein Praktikum in einer Anwaltskanzlei zu machen, angenommen. Danach habe die Juristerei sie nicht mehr losgelassen, sei sie selber Anwältin geworden.

Prägend seien für sie zum einen die Diskussionen mit ihrer Mutter über Gerechtigkeit gewesen und zum anderen der Umstand, dass sie aus einer Familie von Berufssoldaten stamme, in der Ordnung und Vorschriften immer eine große Rolle gespielt hätten. Die 37-Jährige, die sich selbst als Perfektionistin schildert, ist nie zufrieden mit ihrer Arbeit. Dass nur 8 der 18 an der Misshandlung ihres Mandanten beteiligten Beamten mittlerweile in Untersuchungshaft seien, ist für sie ein Misserfolg. Sie will alle 18 auf der Anklagebank sehen.

Die Anwältin, die von sich erzählt, dass sie keine zehn Tage Urlaub am Stück aushalte, ein echter Workaholic sei und kaum Freizeit habe, hat sich erst kürzlich entschieden, nachts ihr Telefon abzuschalten. Sie wolle, auch im Interesse ihrer Tochter, morgens um 3.30 Uhr keine verzweifelten Anrufe mehr aus dem Gefängnis beantworten müssen. Nur wenige russische Kollegen übernehmen wie sie Fälle, in denen es um staatliche Gewalt geht. Und so gilt sie vielen in ihrer Nichtregierungsorganisation „Public Verdict“ als Expertin für jenes Feld. Schwer falle es ihr, berichtet sie in einem Interview, Gespräche mit Männern zu führen, die ihr von Vergewaltigungen und anderer Gewalt berichten.

Derzeit befindet Biryukowa sich im Ausland. Sie war sofort nach der Veröffentlichung des Videos, als sie ernstzunehmende Drohungen erhalten hatte, aus Russland geflohen. Gerne möchte sie wieder zurückkehren. Doch sie hat augenscheinlich Angst. Einer ihrer jüngsten Einträge auf ihrer Facebook-Seite ist die Meldung der Ermordung von Dragoslav Ognjanović, eines Anwaltes des früheren serbischen Regierungschefs Slobodan Milošević.

Bernhard Clasen, Kiew

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