: Die Zukunft der Literatur
Bücher zwischen Massenproduktion und Sprachkunst: Diskussion im Bethanien
Von Vanessa Prattes
„Wahre Literatur muss den Leser bewegen. Er muss weinen, lachen, trauern und wütend werden“, sagt der Autor Peter Wortsman, Teilnehmer der Diskussion „Literatur als Ware“ im Kunstquartier Bethanien, die im Rahmen des Literaturfestivals Urban Dictionary stattfand. Ziel des Festivals ist es, die Metropolen Berlin und New York anzunähern.
Bücher sterben aus. Nach Angaben des Börsenvereins ist die Zahl der Käufer zwischen 2013 und 2017 auf dem Publikumsbuchmarkt um 6,4 Millionen (minus 17,8 Prozent) zurückgegangen. Mit diesen erschreckenden Zahlen eröffnet Gregor Dotzauer, Literaturkritiker des Tagesspiegels, die Diskussion über die Zukunft der Literatur.
In der Kapelle des ehemaligen Diakonissen-Krankenhauses Bethanien, in das einst Theodor Fontane in den Revolutionsjahren 1848/49 „unter Fliegengeknatter“ zog und als Apotheker arbeitete, treffen sich Vertreter aus dem literarischen deutschen und amerikanischen Milieu.
Die Konkurrenz unter den Schriftstellern sei größer geworden, da sind sich alle einig. „Die Wahrscheinlichkeit auf dem Buchmarkt unterzugehen wächst“, findet Dotzauer.
Edwin Frank, Gründer des Verlages New York Review Books Classics, Verleger und Dichter, ist optimistischer, denn „kleine unabhängige Buchhandlungen werden zu intellektuellen, sozialen Institutionen“.
Als Folge der Globalisierung und Digitalisierung ist eine gegenseitige Beeinflussung der Märkte zu beobachten. Die Literaturagentin Karin Graf sieht in der Globalisierung eine Chance für längst vergessene Bücher. So erlebten etwa die Werke Hans Falladas durch ihre Popularität auf dem angloamerikanischen Markt eine Renaissance in Deutschland. Graf sieht in den staatlichen Subventionen und der Preisbindung als Schutz kleinerer Genres eine wichtige Unterstützung für die Autoren.
Für Romanautorin Julia Kissina hingegen ist der freie Markt „eine Katastrophe für Bücher“. Schriftsteller dürfen nicht für Geld schreiben, da Literatur kein Geschäft sei. Die Einteilung von Literatur in Genres sieht sie als Gefahr für die Kunst der Literatur, denn Genres seien entstanden, um den Leser in Kategorien einzuteilen und damit die Verkaufschance zu steigern.
Sowohl im europäischen als auch im amerikanischen Raum haben sich sogenannte „creative writing“-Kurse für angehende Schriftsteller etabliert. Damit sei zwar eine Annäherung an Literatur möglich, doch der wahre Kern von Literatur bliebe dabei größtenteils unentdeckt, sagt Graf. Kissina befürchtet das Aussterben der Literatur als große Kunst, denn „Literatur kann man einfach nicht lernen“. Doch ganz so schnell wie befürchtet werden Bücher in naher Zukunft wohl doch nicht verschwinden.
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