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Andreas Rüttenauer Russia TodayEs braucht wehrhafte Frauen in einem Macholand wie Russland

Moskau, Luschniki. Eineinhalb Stunden ist es her, dass Igor Akinfejew den Elfmeter von Iago Aspas gehalten hat. Noch immer ist das Stadion nicht ganz geleert. Wer teure Hospitality-Pakete gekauft hat, wird noch mit Leckereien und edlem Schaumwein gefüttert. Ein paar Reisegruppen laufen hinter Schildern der Fifa-Großsponsoren her, die von jungen Frauen in die Höhe gehalten werden. Die moderne Fußballkundschaft wird abgeführt. Derweil verlassen auch die letzten weiß-blau-rot geschminkten Jubel-Russen das Gelände.

Sie haben es geschafft, sich während des Spiels so viel von dieser offiziellen, gelben Fifa-Plörre, die sich Bier nennt, zuzuführen, dass man sie getrost als sternhagelvoll bezeichnen kann. „Hey, Mädchen!“, ruft einer, der das wohl besonders witzig findet. „Ein Kuss für unseren Sieg!“ Die junge Frau, die wohl gemeint ist, beschleunigt ihre Schritte. „Mädchen, warte doch. Nur ein Kuss und du bist frei!“

Der selbsternannte Märchenprinz mit Schlagseite holt sie ein und will zupacken. Die Frau weiß sich zu wehren. Eine Körpertäuschung und der Suffkopf greift ins Leere. Hunderte Polizisten, die sich nach Dienstschluss zum Abmarsch aus dem Stadion formiert haben, schauen zu und grinsen. Sie haben nichts dazu beigetragen, das die junge Frau den U-Bahnhof dann doch sicher erreicht hat.

So ist das wohl bisweilen. Frauen müssen sich zu wehren wissen in einer Umgebung, in der sich Kerle mit dick trainierten Armen in T-Shirts mit dem Aufdruck #realrussianman besonders wohlfühlen – beim Fußball zum Beispiel. Diese Sorte echte Russenkerle ist es wohl auch, die in den sozialen Netzwerken, allen voran im russischen Facebook Vkontakte, angefangen hat, auf russische Frauen zu schimpfen, die sich mit Fans aus dem Ausland fotografieren lassen und diese Bilder dann dem Netz zur Verfügung stellen.

Moralfaschisten wie der Schriftsteller Platon Besedin meinen, dagegen Stimmung machen zu müssen. „Zeit der Nutten“, heißt ein Artikel, den er für die Boulevardpostille Moskowski Komsomoljez geschrieben hat. Unerträglich findet Besedin, wie sich Russinnen an Fußballtouris ranwanzen würden, als sei es ihre letzte Chance, ihr Leben zu ändern. Unmoralisch und vaterlandslos sei das. Der Text ist unerträgliches Blabla, das mit dem Aufruf an alle Frauen endet, Beispiele wahrhafter Menschen zu werden, für die Ehre, Moral, Würde und die Liebe zum Vaterland keine leeren Worte sind.

Das war den meisten Russen dann doch zu blöd. Vkontakte jedenfalls hat etliche Gruppen wieder geschlossen, die sich gegründet hatten, um mit Ausländern posierende Frauen an den Pranger zu stellen. Es darf also weitergefeiert werden. Und es muss weiter aufgepasst werden. Macholand braucht wehrhafte Frauen.

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