: „Es ist schön, gemocht zu werden“
Aliou Cissé ist der Trainer Senegals – ein afrikanisches Hoffnungsteam
Von Hanna Voß
Wenn der Senegal trifft, passiert etwas im Gesicht Aliou Cissés, dem Trainer der Nationalmannschaft des westafrikanischen Landes. Es ist nicht die einfache Freude zu sehen, da ist mehr: ein Lächeln, das er noch halbherzig zu unterdrücken versucht, das aber trotzdem da ist. Etwas, das ein bisschen aussieht wie Genugtuung. Cissé wusste, dass diese Tore fallen, er hatte sie genau so geplant. Und seine Mannschaft setzt um, was er plant. Cissé sei der „Big Boss“, sagte Stürmerstar Sadio Mané vor der Partie gegen Japan. „Er macht eine tolle Arbeit. Wir arbeiten als Team – das ist sehr wichtig. Wir hören auf ihn, weil seine Pläne immer aufgehen.“
Auch im Spiel des Senegal gegen Polen sieht es aus wie ein Konzept, als Cissé in der 61. Minute am Spielfeldrand auf Stürmer M’Baye Niang einredet, der Stift in seiner Hand im gleichen Grün wie das senegalesische Trikot. Dann spielt der Pole Grzegorz Krychowiak einen langen Pass zurück in die eigene Hälfte, Niang, soeben wieder von Schiedsrichter Nawaf Abdulla Shukralla aufs Feld gelassen, holt sich den Ball, überspielt den weit vor dem Tor befindlichen Wojciech Szczesny und schiebt den Ball mühelos ins Tor. Cissé jubelt so, als sei das Tor, so, wie es angebahnt und erzielt wurde, im Talk mit seinem Spitzenspieler entwickelt worden.
Das Gespräch mit Niang an der Seitenlinie als Manöver? Wer weiß. Allerdings ist das überhaupt etwas, das Cissé gerne und häufig tut: Spieler zu sich rufen, obwohl gar keine Trinkpause anberaumt wurde, sie dann nicht einfach nur ansehen oder gar an ihnen vorbei aufs Spielfeld blicken, während er sie taktisch ausrichtet. Nein, er bückt sich, sucht den Augenkontakt, und wenn er ihn gefunden hat, redet und redet er, so eindringlich, als wolle er in sie Löcher bohren. Verlangt dann, dass sie bestätigen, dass sie gehört und verstanden haben, was er von ihnen will. „Okay?“, fragt er, auch mehrmals, bis von seinem Spieler mindestens ein Nicken kommt.
Cissé, geboren am 24. März 1976, ist einer der senegalesischen Helden von 2002, als die Auswahl seines Landes bei ihrer ersten – und bis Juni 2018 letzten – WM-Teilnahme das Viertelfinale erreichte. Schon im ersten Spiel besiegten die „Lions de la Teranga“ die ehemalige Kolonialmacht und amtierenden Weltmeister Frankreich. Und jetzt, 16 Jahre später, ist Cissé wieder ein Held. Gegen Polen gewonnen, 2:1, gegen Japan ein großartiges 2:2. Cissé sagt: „Senegal repräsentiert ganz Afrika. Und ganz Afrika unterstützt uns. Wir sind stolz darauf.“
In der Gruppe H mit Senegal, Japan, Kolumbien und Polen ist noch fast alles offen. Die Polen sind als Einzige ausgeschieden. Japan und Senegal starten jeweils mit gleicher Punktzahl (4) und gleichem Torverhältnis von 4:3. Kolumbien hat 3 Punkte. Der Sieger des Duells Senegal gegen Kolumbien steht im Achtelfinale. Senegal ist bei einem Sieg, Unentschieden und sogar bei einer Niederlage weiter, sofern Japan höher gegen Polen verliert. Damit Kolumbien sicher weiterkommt, müssen sie gewinnen. Ein Unentschieden reicht, wenn Japan gegen Polen verliert. Die Japaner sind bei einem Sieg oder Unentschieden sicher weiter und bei einer Niederlage, sofern Kolumbien gegen den Senegal verliert. Damit Kolumbien und der Senegal weiterkommen, muss Japan gegen Polen verlieren, während Kolumbien und Senegal sich unentschieden trennen und Kolumbien eine bessere Tordifferenz als Japan hat.
Donnerstag spielt sein Team im letzten Gruppenspiel gegen Kolumbien (16 Uhr, ARD), mit guten Chancen, das Achtelfinale zu erreichen. Seine Bilanz als Nationaltrainer ist prima: 30 Länderspiele mit dem Senegal, 18 Siege, nur vier Niederlagen. Der 42-Jährige feiert diese Erfolge mit seinen Spielern, als wäre er nicht ihr Trainer, sondern immer noch ihr Kapitän. Doch Cissé war immer schon auch beides.
Im Jahr 2012 fungierte er als Interimscoach, bereits im Herbst 2002 aber stand er zum ersten Mal an der Seitenlinie. Der Anlass damals, ein trauriger. Cissé leitete ein Benefizspiel für die Opfer und Angehörigen des Joola-Schiffsunglücks, bei dem 64 von 2.000 Passagieren überlebten. Nur drei Monate nach dem Glückstaumel bei der WM in Japan und Südkorea verlor Cissé mehrere Familienangehörige. Die Katastrophe löste im Senegal eine Staatskrise aus.
Im März 2015 übernahm Cissé den Job als Nationaltrainer vom Franzosen Alain Giresse, schied in der Afrikameisterschaft 2017 im Viertelfinale erst durch Elfmeterschießen aus, sprach da bereits von einer „großen Generation“. Sagte, es gehe nicht nur um technisches Können, es gehe darum, das komplette Niveau des afrikanischen Fußballs zu verbessern. „Das ist unser Ziel.“
Cissé ist kein in Europa längst aussortierter Trainer, der es sich mit einer afrikanischen Mannschaft noch einmal beweisen möchte. Er glaubt an ein ganzheitliches Projekt, sagt, es brauche afrikanische Trainer, um den afrikanischen Fußball nach oben zu bringen, und er ist selbst ein Teil davon. Jetzt in Russland ist das längst zu beobachten: Senegal spielt gelegentlich schönen, vor allem aber disziplinierten und effektiven Fußball. Cissé sagt, bei der WM kämpften 32 Mannschaften um den Titel. „Warum sollte es am Ende nicht der Senegal schaffen?“
Sandio Mané, Stürmer
Wenn seine Männer spielen, steht Cissé in der Coachingzone, fast 90 Minuten lang. Die Hände, immer in den Taschen seiner Anzughose. Die Anweisungen, präzise, manchmal genügen zwei parallel zueinander postierte Zeigefinger, als wolle er den Abstand zwischen zwei Dingen messen. Wird er nervös, wie phasenweise im Spiel gegen Japan, werden die Gesten energischer. Meist aber sieht Cissé aus wie ein entspannter Gentleman, einer, der nicht darüber sinniert, wie er wirkt und deshalb so wirkt, wie viele nur wirken wollen.
Den Anzug mit weißem Hemd und schmaler Krawatte, die große Uhr an dem einen, das Armband aus schwarzen Kügelchen am anderen Handgelenk, die Dreadlocks, die riesige Hornbrille – all das trägt er mit so viel Selbstverständlichkeit: ein cooler Mann. Er ist der jüngste Trainer und der einzige Schwarze. „Diese Debatten stören mich“, sagt Cissé. „Fußball ist universell. Die Hautfarbe ist nicht wichtig.“
Nur eine Frage bringt Cissé während einer Pressekonferenz in Russland aus der Fassung. Wie er damit umgehe, dass er nun ein Sexsymbol sei. „Sexsymbol, ich?“ fragte Cissé, überrascht, aber auch erfreut. „Es ist schön, gemocht zu werden“, sagt er dann nur. Noch viel schöner aber wäre es, als einzige im Turnier verbliebene afrikanische Mannschaft mindestens so weit zu kommen wie 2002.
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