WM in Tschetschenien: Grüne Schatten
Ausländische Besucher werden in Grosny auf Schritt und Tritt von der Polizei verfolgt. Die sitzt manchmal auch mit am Abendbrottisch.
Das war sie also, diese tschetschenische Gastfreundschaft, für die sich hier alle beinahe andauernd selbst loben. Jeder Taxifahrer, bei dem ich Passagier war, wollte mich am liebsten gleich zu sich nach Hause fahren, mich zum gemeinsamen Abendessen nach Sonnenuntergang einladen. Es war ja Ramadan.
Nun saß ich also an einen tschetschenischen Tisch und gerade als ich mich wohlzufühlen begann, stellte sich der Nachbar vor. Polizist sei er, beim Omon, der Sicherheitstruppe des Innenministeriums. Er fragte mich, was ich in Grosny zu suchen hätte. Sportreporter sei ich, sagte ich, und dass ich das ägyptische Team in seinem Quartier besucht hätte.
Die Ägypter? Er fragte nach. Sind die nicht in Jekaterinenburg? Doch meinte ich. Gestern sei ich bei den Ägyptern gewesen. Gestern? Wieder fragte der Nachbar nach. Gestern sind die Ägypter doch abgeflogen? Ich kam mir vor wie in einem Verhör.
Pass abgenommen
Es war wie an dem Tag, an dem ich mich zu dem Stadion aufgemacht hatte, in dem die Ägypter ihre letzte Trainingseinheit vor dem Abflug zu ihrem Spiel gegen Uruguay abhielten. An der ersten größeren Kreuzung standen vier Polizisten, 200 Meter weiter standen zwei weitere. Sie schienen schon auf mich zu warten. Nach weiteren 200 Metern standen wieder zwei Polizisten vor mir. So ging es weiter. Schließlich winkte mich ein Mann in grünem Kampfanzug zu sich. Was ich hier wolle.
Kurz darauf saß ich in seinem Auto. Er hatte mir den Pass abgenommen. Ich sollte auf ihn warten. Zwei Polizeiautos waren zu meiner Bewachung neben seinen Toyota gefahren. Der grüne Mann verschwand und kam ganz lange nicht zurück. So lange, bis meine Hände feucht waren. Am Ende durfte ich ins Teamquartier und zum Training ins Stadion. Doch allein war ich nie. Ich hatte einen grünen Schatten.
Wenn ich zu Fuß unterwegs war, sah ich ihn hinter mir her fahren, sah, wie er sein Auto kurz hinter mir zum Stehen brachte, wie er wartete, als ich in einem Kiosk etwas kaufte. Einmal überholte er mich, ließ das Fenster herunter, lächelte mich an und fragte auf Deutsch: „Wie geht’s, Andreas!“. Als ich sein Auto später vor meinem Hotelzimmer sah, trug das nicht zu meinem Wohlbefinden bei.
An meinem letzten Abend in Grosny hatte ich ihn fast vergessen. Bis der Mann vom Omon mich auszufragen begann. Zum Abschied schenkte er mir drei PR-Aufkleber seiner Einheit. „Wir haben das Land vor den Faschisten geschützt. Jetzt schützen wir es vor dem Extremismus“, steht darauf. Der Mann lächelte. Ich konnte mich nicht entscheiden, ihn zu mögen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!