umwelt : Wirtschaften wie die Natur
Sich die Erde untertan machen zu wollen ist dumm und selbstzerstörerisch. Wir sollten entgegen den kapitalistischen Prinzipien schnell umsteuern
Annette Jensen Jahrgang 1961, ist Journalistin und Buchautorin, lebt in Berlin und gehört zur Bürgerinitiative thf.vision, die das ehemalige Flughafengebäude Tempelhof zum Experimentier- und Forschungsort für eine enkeltaugliche Lebensweise machen will.
Es gibt eine Art, zu wirtschaften, die seit 3.300.000.000 Jahren funktioniert und somit als langfristig erfolgreich gelten kann: Die belebte Natur schafft aus dem begrenzten Material auf dem Globus immer mehr und immer Neues. Das Ganze ist eine Art permanentes Upcycling. Vorhandene Stoffe werden mithilfe der Sonnenenergie laufend umgenutzt. Dabei entwickeln sich zunehmend komplexere Wesen und Lebensräume. Müll gibt es nicht. Was das eine Wesen ausscheidet, ist Existenzgrundlage für andere. Auch das Wasser bleibt immer sauber. Bei alledem haben Biomasse und Vielfalt tendenziell immer weiter zugenommen. Dieses Wachstum ist mit den begrenzten Ressourcen auf dem Globus bestens vereinbar.
Die menschliche Wachstumswirtschaft existiert seit etwa 150 bis 200 Jahren. Sie funktioniert nach dem Prinzip: immer schneller auf der Einbahnstraße in die Sackgasse. Metalle, Kohle, Öl und Mineralien werden in zunehmender Geschwindigkeit ausgegraben, zu Produkten verarbeitet und nach kurzer Nutzungsphase als Müll abgelagert. Dabei entstehen Stoffe, die für Lebewesen hochgradig giftig sind, das Wasser langfristig verschmutzen und fruchtbaren Boden vernichten. Unzählige Tier- und Pflanzenarten sind binnen wenigen Jahrzehnten ausgestorben – und so erodieren auch die Lebensgrundlagen für viele andere. Dass das auf Dauer nicht funktioniert, begreift jedes Kind.
Seit etwa 35 Jahren läuft eine Diskussion über Nachhaltigkeit. Die immer dominantere Wirtschaft soll zwei Gegenpole bekommen: Umwelt und Soziales. Dieses Konstrukt ist im Ansatz falsch. Es hat keinen Sinn, das Zerstörungswachstum als gegeben hinzunehmen und dessen Produkte nur etwas sauberer machen und gerechter verteilen zu wollen. Die Mitwelt ist die Basis – die menschliche Lebensweise muss sich in die planetaren Grenzen einfügen. Sonst geht die Erdgeschichte bald ohne uns weiter. Die Natur wird überleben und kreative Lösungen auch in den Bereichen finden, wo wir vieles ausgelöscht haben. Etwas zu ändern liegt im Eigeninteresse des Homo sapiens.
Das heißt nicht: Zurück in die Höhle. Wir müssen unsere Intelligenz und Kreativität nutzen, um uns in die Wachstumsprozesse der Natur einzuweben. In ihrem System werden überwiegend Materialien genutzt, die vor Ort vorhanden sind. Durch Stoffwechsel entstehen vieldimensionale, stabile Netze von Austauschbeziehungen – ein kooperativer Prozess, der an jedem Ort der Welt etwas anders verläuft, zugleich aber auch vielfältige Verbindungen zum regionalen und globalen Umfeld hat und sich ständig fortentwickelt. Einheitslösungen für die ganze Welt gibt es nicht. Auch hat kein Individuum und keine Art die Möglichkeit, gut Funktionierendes zu monopolisieren. Dezentral, kleinteilig, vielfältig vernetzt, modular, Open Source – das sind die Prinzipien der Natur.
Die kapitalistische Wirtschaftsweise funktioniert entgegengesetzt. Im Konkurrenzkampf nimmt der Konzentrationsprozess ständig zu – am effektivsten ist es, Einheitsprodukte für die ganze Welt herzustellen. So produziert eine einzige Firma 40 Prozent aller Laptops und Smartphones. Trotz extrem unterschiedlicher Bedingungen werden in Uganda, Usbekistan und Schweden die gleichen Weizensorten angebaut. Agrarkonzerne haben dafür gesorgt, dass sich 80 Prozent der Gemüsepflanzen nicht mehr vermehren können, damit jedes Jahr Saatgut bei ihnen nachgekauft werden muss. Viele Nutzpflanzen, die unsere Vorfahren in Jahrtausenden gezüchtet haben, sind innerhalb weniger Jahrzehnte ausgestorben oder existieren nur noch in Form einiger Saatkörner in Genbanken.
Dass die Menschheit eine Kehrtwende schafft, erscheint unrealistisch. Institutionen, Infrastrukturen und Alltagspraxis – alles fußt auf einem destruktiven System. Zwar beschäftigen sich Weltkonferenzen mit den Symptomen; Gesetze und Grenzwerte sollen die schlimmsten Folgen eindämmen. Doch das alles verzögert bestenfalls den rasanten Selbstzerstörungsprozess, weil der zentrale Aspekt tabu ist: Unsere Art, zu wirtschaften, gilt als unhinterfragbar. Angesichts der Machtverhältnisse erscheint ein konfrontatives Vorgehen aussichtslos. Es bleibt nichts übrig, als dass viele selbst anfangen – kleinteilig, vor Ort und mit der Bereitschaft, zu kooperieren und Wissen zu teilen. Gleichzeitig gilt es, darauf hinzuwirken, dass sich die politischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen für solches Handeln verbessern.
Vor allem was das existenzielle Thema Ernährung angeht, sprießt vieles: Veganerinnen, Lebensmittel- und Saatgutretter, Tierschützer und urbane Gärtnerinnen sind Facetten einer bunten, erstarkenden Bewegung. Gab es vor einem Jahrzehnt in Deutschland nur zwei solidarische Landwirtschaftsbetriebe, sind es heute über 180. Seit zwei Jahren gründen sich immer mehr Ernährungsräte mit dem Ziel, dass die Stadtbevölkerung gesunde und für alle erschwingliche Lebensmittel aus der Nähe bezieht. In den Blick kommen dabei auch Fragen wie Wasserkreisläufe, Transport, Energie, Gesundheitsvorsorge, Klima. Auf Einzelaspekte beschränkte oder rein technische Lösungsansätze sind von gestern. Das heißt nicht, dass Technik überflüssig wird. Doch das Ziel ihrer Entwicklung darf nicht länger Massenproduktion zur Profitsteigerung sein, sondern sie muss der Vernetzung von Wissen und der Verbesserung komplexer Rückkopplungsprozesse dienen.
Kleinteilig anzufangen erscheint angesichts der Bedrohungen marginal – und doch steckt darin ein Keim mit Sprengkraft: Jede und jeder kann etwas tun. Jetzt. Strukturell entspricht das der Wirtschaftsweise der Natur. Sie hat keinen Masterplan, jedes Wesen nutzt das Vorhandene für den eigenen Bedarf. Was es nun braucht, sind Experimentierorte, um diese Wirtschaftsweise gemeinsam auszuprobieren, zu erforschen und das dabei entwickelte Wissen frei verfügbar zu machen. Fangen wir an – sofort!
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