piwik no script img

Vaterunser unterm Hakenkreuz

Die Gemeinde Fassberg streitet weiter darüber, ob eine Kirchenglocke mit dem Nazi-Symbol erhalten bleiben soll

„Dass in einer NS-Luftwaffensiedlung eine Kirchenglocke läutete, ist sensationell“

Mareike Rake, Archiv der Landeskirche

Der Streit um die Hakenkreuz-Glocke in der evangelischen Michaelkirche im niedersächsischen Faßberg dauert an. Bei einer von rund 250 Menschen besuchten Bürgerversammlung am Freitagabend prallten in einer oft emotional geführten Diskussion die Meinungen aufeinander.

Hintergrund ist der Beschluss des Kirchenvorstandes, die Glocke aus dem Jahr 1938, die mit zwei Hakenkreuzen und einem Adler der Luftwaffe versehen ist, gegen eine neue Glocke auszutauschen. Daraufhin sammelte eine Initiative in der 6.100 Einwohner zählenden Gemeinde 1.600 Unterschriften für die weitere Nutzung der alten Glocke.

Rudolf Hensch von der Interessengemeinschaft Erinnerungskultur kritisierte das: Es sei „unerträglich“, dass unter dem Symbol einer Ideologie, die die Welt ins Verderben geführt habe, das Vaterunser gebetet werde. Henschs Äußerungen wie die der Glocken-Befürworter stießen bei den Zuhörern auf Zustimmung wie auch auf starke Ablehnung.

Historiker betonten in Vorträgen die besondere Bedeutung Faßbergs. In unbewohnter Gegend wurden hier 1935 im Auftrag des Reichsluftfahrtministeriums ein Fliegerhorst und eine Kampffliegerschule errichtet. Erst einige Jahre später entstand für die Soldaten und ihre Angehörigen eine Siedlung, zu der auch die einzige Kirche für die NS-Luftwaffe gehörte.

Mareike Rake, Direktorin des Landeskirchlichen Archivs, sagte, das wirklich Sensationelle in der Kirchengeschichte Faßbergs sei nicht die Tatsache, dass die Kirchenglocke hier ein Hakenkreuz trage. „Sensationell ist vielmehr die Tatsache, dass in der nationalsozialistischen Luftwaffensiedlung eine Kirchenglocke läutete.“ Diese Glocke sei einzigartig und müsse erhalten werden – aber nicht in ihrer bisherigen Funktion, sondern beispielsweise als Ausstellungsgegenstand. (epd)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen