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Endet dieses Regime denn nie?

Repression, Anpassung, Verrat und Widerspruch: Alles wiederholt sich in „Das achte Leben (Für Brilka)“, eingeladen zu den Autorentheatertagen am Deutschen Theater

Von Simone Kaempf

Wenn Großmutter Stasia der Enkelin erklärt, warum sie den alten Teppich einseift, schrubbt und wäscht, fallen schönste poetische Sätze: „Du bist ein Faden, ich bin ein Faden. Jeder Teppich ist eine Geschichte.“ Den Teppich will sie jetzt säubern, aufhängen und sehen, was passiert. Ein riesiger Wandteppich hängt dann tatsächlich im Hintergrund. Fünf Stunden hat man Zeit, die Webmuster zu studieren mit feinen Verzierungen und mit groben Konterfeis von Marx, Stalin, Lenin, die auf blutrotem Untergrund die düstere Seite der Vergangenheit bezeugen. Schon an diesem Bühnenbild lässt sich ablesen, welche weitreichende politische Zeitreise „Das achte Leben“ geht.

Von einer großen Spule rollt der Orientteppich schrittweise herunter, während sich davor ein Epos von der bolschewistischen Revolution bis zum Fall des Kommunismus entfaltet, sich die Erzählung einer georgischen Familie über fünf Generationen erstreckt. Darin eingebettet wiederholen sich Repression, Anpassung, Verrat und Widerspruch, Geschichten von Liebe und Hass, Schändung, Erpressung und zärtlicher Treue bis in den Tod. Immer präsent die beiden Schwestern Stasia und Christine, mal zänkisch, mal liebevoll, ums Überleben kämpfen, wie es die wechselvollen Verhältnisse gerade erfordern.

Barbara Nüsse und Karin Neuhäuser spielen sie überzeugend durch alle Altersstufen. Ihr verfremdetes Alter betont, dass die Frauen hier lebenslang aushalten und ausharren, während die Männer schicksalhaft die große Politik machen. Als weiterer roter Faden zieht sich die unbeugsame Systemhörigkeit des Familienoberhaupts Kostja durch die Beziehungen. Seine gefühllose Autorität verstärkt die Unfreiheiten, unter denen vor allem die Frauen leiden. Die älteren versuchen die Würde zu bewahren, die jüngeren reagieren mit Anpassung oder Rebellion.

Es ist ein packender Abend, der bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater die Festival-Halbzeit einläutet. Roman-Adaptionen gehören längst mit ins Programm eines jeden Festivals für zeitgenössische Dramatik. Haratischwillis Roman aber ist 1.200 Seiten stark, ein Weltgeschichte umspannendes Tableau, das Diktatur und persönliches Schicksal über ein ganzes Jahrhundert erzählt, und die Adaption ragt heraus. Regisseurin Jette Steckel hat zusammen mit der Dramaturgin Julia Lochte nicht nur eine Textversion erstellt, sondern ist mit den Schauspielern nach Georgien gereist, um die politische Bedeutung des Romans noch besser zu verstehen. Als Recherche-Ergebnis spielt sie viel schwarzweißes Filmmaterial der Sowjetzeit ein. Militärparaden und Arbeiterbrigaden aus den 50er Jahren, Panzer in Prag 1968 oder die Olympischen Spiele in Moskau 1980.

Das Filmmaterial, im Hintergrund auf den Teppich projiziert, zeigt anonyme historische Massenszenen, vorne hadern die Figuren ganz konkret mit den Umständen ihres Lebens. Da beschuldigt Kostjas verhätschelte Tochter Elene den familiären Ziehsohn Miqa der Vergewaltigung, eine Lüge. Kostja lässt dennoch Miqa im Gefängnis zu Tode prügeln, weil er mit dessen Vater noch eine Rechnung offen hat – das Schicksal der Vorfahren setzt sich unaufhaltbar in der nächsten Generation fort.

Jette Steckels illustrierender Video-Einsatz zielt auf die Geschichtswiederholungsschleifen ab. Die Jahrzehnte verrinnen, die schwarzweißen Filme im Hintergrund bleiben gleich. Endet dieses Regime denn nie?, fragt man sich zwischendurch. Und die Regisseurin setzt auch folkloristische Details ein, russische Musik, historische Kostüme. Das ist durchaus gewagt, aber hier fügt es sich gelungen zusammen.

Das Filmmaterial zeigt anonyme historische Massen­szenen, davor hadern die Figuren mit den Umständen ihres Lebens

Ganz im Zentrum stehen die starken Schauspieler, die selbst durch seifenoperkitschige Momente tragen. Maja Schöne und Sebastian Rudolph als Geschwister Kitty und Kostja zerstreiten sich bis aufs Blut an der Frage nach der Partei- und Vaterlandsliebe. Franziska Hartmann und Lisa Hagmeister sind wiederum zwei Schwestern, die in den Wirren der Nachwendezeit ganz unterschiedliche Wege einschlagen, zwei aus der Not heraus ­extrem agierende Typen: ­exaltiert die eine, sich störrisch verweigernd die andere.

Im Rahmen der Autorentheatertage liest sich „Das achte Leben“ wie ein Statement: Ja, auch Gegenwartsdramatik füllt die große Bühne. Selbstverständlich ist das nicht. Selbst preisgekrönte neue Stücke verbannt man oft mit drei oder vier Schauspielern auf die kleinen Studiobühnen. Der Abend funktioniert aber auch, weil Steckel, Jahrgang 1982, nicht mit forcierter Erzählweise zu punkten versucht, sondern eine inhaltlich bewegende Geschichte erzählt.

Das Deutsche Theater hat mittlerweile große Erfahrung, die Autorentheatertage so auszurichten, dass die Gastspiele als Puzzlesteine einen exemplarischen Überblick geben. In diesem Jahr wirkt das besonders gut gelungen, und „Das achte Leben“ ragt im Programm noch einmal heraus.

Autorentheatertage noch bis 23. Juni am Deutschen Theater Berlin, www.deutschestheater.de

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