: Popkonzert mit Drumherum
Das Theater Bremen hat angelehnt an den Film „The Man Who Fell to Earth“ einen Abend mit David-Bowie-Hits entwickelt. Ein Musical ist es nicht, aber Spaß macht es immerhin
Von Jan-Paul Koopmann
Da steht ein Krankenhausbett. Es ist sicher nicht steril, aber doch auf dumpfe Weise trostlos. Ähnlich der Gin, den die privat engagierte Pflegerin auf dem Servierwagen zuverlässig nachliefert: 40 Prozent sind eben zu wenig für die medizinische Anwendung, aber zu viel zum Klarkommen. Die Frage, wer in diesem Bett liegt, ist gar nicht so einfach zu beantworten.
Hier auf der großen Bühne am Bremer Goetheplatz ist es Martin Baum, in der erzählten Geschichte der Außerirdische Thomas Jerome Newton, der seinerseits im Kino mal von David Bowie gespielt wurde – um den es nun eigentlich hauptsächlich geht. Etwas verwirrend vielleicht, aber wichtig, denn Bowie kommt in „Lazarus“ nicht vor, auch wenn Baum dessen Lieder singt und dabei auch ein bisschen nach ihm klingt.
Und es bleibt noch einen kleinen Moment kompliziert: „Lazarus“ ist ein Musical, heißt es ganz oben auf dem Programmzettel, bevor es im Text dann damit weitergeht, dass es eigentlich doch gar keines ist. Zumindest kein normales mit Tralala und gesungener Geschichte. Man müsste vielleicht sagen: Es ist ein David-Bowie-Best-of mit Rahmenhandlung. „Heroes“ ist zu hören, „Life On Mars?“, „Absolute Beginners“, „Changes“ – und die anderen Songs kennen Sie auch aus Radio und Singlecharts.
Solides Material also, vor allem dank der spektakulär spielfreudigen Band im Orchestergraben auch solide umgesetzt, und entsprechend zufrieden zeigt sich das Publikum. Überhaupt, wann gab es das zuletzt? Dass schon im Zug durchs Umland das mitreisende Premierenpublikum am T-Shirt zu erkennen ist: Bowie und Lazarus im Regionalexpress. Die fast zeitgleich von der Bremer CDU angezettelte Debatte um die vermeintlich publikumsferne, elitär-verkopfte Ausrichtung des Bremer Stadttheaters – sie schien zumindest vergangenen Samstag auf einem anderen Planeten zu spielen.
Dabei ist der Stoff in der Inszenierung von Tom Ryser alles andere als eingängig. Die Szenen zwischen den altbekannten Liedern erinnern nämlich lediglich an die Film- und Romanvorlage „The Man Who Fell to Earth“, und erzählen die Geschichte selbst kaum nach.
„Lazarus“ spielt nach dem Scheitern, als das Alien Newton/Bowie/Baum anders als geplant nicht mit dem Wasser der Erde zurückreist auf seinen ausgetrockneten Planeten. Weil er sich hier im allzu menschlichen Jammertal verstrickt hat, unglücklich verliebt ist, besoffen und ihm schließlich beide Welten fremd werden.
In „Lazarus“ nun, für dessen Handlung neben dem Dramatiker Enda Walsh auch Bowie selbst verantwortlich ist, erscheinen die Figuren des Films als Hirngespinste, als Wiedergänger – und quälen das mühsam vor sich hin sterbende Alien mit verblassenden Erinnerungen und vergeblicher Hoffnung. „The Man Who Fell to Earth“ und „Lazarus“: Beide sind immer auch biografisch gedeutet worden. Die Kunstfigur Bowie ist dieses Alien, die Premiere am Broadway war sein letzter öffentlicher Auftritt, bevor er im Januar 2016 verstarb.
So ist es auch kein Wunder, dass die Songs sich zwar nicht inhaltlich, aber doch in Sachen Atmosphäre und melancholischer Welthaltung hervorragend einfügen in den Science-Fiction-Plot. Oder leider richtiger: dass sie es theoretisch könnten. Denn in der Bremer Inszenierung ist davon nur wenig zu spüren. Wohl auch, weil die Inszenierung die Formfrage nach diesem eben nur Beinahe-Musical nicht so recht zu beantworten weiß und jeder so macht, wie er meint.
Mal geht das gut. Bei Claudia Renner etwa, die als Pflegerin Elly die einzige sich entwickelnde Figur verkörpert und ihre inneren Konflikte ergreifend auf die Bühne bringt – und im Gesang dann aber doch voll einsteigt in die Eindeutigkeit, wo die Welt sich wenigstens für die Dauer eines Songs nach Frieden anfühlt.
Auch der von seinen Hirngespinsten umzingelte Martin Baum macht seine Sache gut, verhält sich stimmlich zu Bowie, ohne ihn schlicht zu imitieren – und kann sich das als zweifelndes Zentrum ja auch erlauben. Für den Schmiss wäre hier also das Drumherum zuständig – und das funktioniert nicht. Oft wirkt es, als wären alle ganz froh, nach ein paar ausgetauschten Dialogen wieder in die Rockkonzert-Choreografie wechseln zu können und den nächsten der 17 hübschen Songs abzuliefern.
Inhaltlich zusammengehalten werden Newtons Wahn- und Erinnerungsfragmente von einem Spukplot um die mörderische Figur Valentine: so eine Art amouröser Liebesstifter – und diabolischer Mordanstifter –, den Alexander Angeletta nicht auszufüllen weiß, der sich aufbläht, wenn es nichts zu sagen gibt und da schwächelt, wo es ihn gebraucht hätte. Vielleicht hätte er der Kitt sein können für die umherpolternden Plotfragmente – so ist er selbst eines.
Wortwörtlich auf und ab geht es auch im Bühnenbild von Stefan Rieckhoff: Sich hebende, senkende und kippende Treppen sind da zu sehen, die mal einzelne Bühnen für die Backgroundsängerinnen der Rocknummer formen, mal sinnbildliche Landschaften für das verworrene Beziehungsgeflecht.
Ob nun gewollt oder nicht, funktioniert das übrigens auch ganz hervorragend als Bowie-Zitat, der im 80er-Jahre-Fantasy-Schinken „Labyrinth“ einen wirklich herrlich beknackten Auftritt als Koboldkönig in unanständig engen Leggins auf eben solchen Escher-Treppen hingelegt hat. Dieses sonderbar Abseitige und dabei trotzdem stimmige Bild macht Bowie aus – nur deshalb wundert es ja auch niemanden, dass ein betrunkenes Alien widerspruchslos als sein Alter Ego durchgeht.
Dieser „Lazarus“ hat stattdessen schöne Musik. Spaß macht er zwischendurch ja auch und wenn die Leute nun trotz formaler Schwächen zufrieden sind? Dann ist es so. Nur wenn einen angesichts der drohenden Debatte um bekömmliches Theater jemand fragt, ob die musicaloide Melange aus Popkonzert und drumherum stattfindendem Schauspiel nun Schule machen sollte – dann müsste man antworten: lieber nicht.
Sa, 16., Mi, 20. und Do, 21. 6.,19.30 Uhr sowie 24. 6.,18 Uhr, Theater am Goetheplatz, Bremen
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