„Amerikas Sexberaterin“ wird 90: Kein Ruhestand für Dr. Ruth
Ruth Westheimer feiert am Montag ihren 90. Geburtstag. Immer noch gibt sie den US-Amerikaner*innen Sextipps vom Blümchensofa.
„Probieren Sie heute Abend eine neue Stellung aus und lassen Sie mich morgen wissen, wie es war“, sagt „Dr. Ruth“ am Ende eines ihrer typischen Vorträge. Dabei bedenkt sie ihr Publikum mit dem schelmischen Grinsen, das ebenso zu ihrer öffentlichen Persona gehört wie ihr harter deutscher Akzent, ihre demonstrativ gute Laune und ihre zupackenden Tipps zu Selbstbefriedigung, vorzeitiger Ejakulation und Sex im Alter. Damit ist Ruth Westheimer zu „Amerikas Sexberaterin“ geworden. In den letzten Monaten hat sie ihren zuvor 42 Büchern noch zwei weitere hinzugefügt. Heute feiert sie in New York ihren 90. Geburtstag.
Die nur 1,40 Meter große Westheimer wurde spät, aber mit Wucht zum Medienstar. 1980 fragte ein Radiosender bei dem New Yorker Krankenhaus, wo sie als Psychologin arbeitete, wer bereit wäre, eine wöchentliche Sendung Sexualerziehung zu machen. Die damals 52-Jährige war die Einzige, die sich meldete. Sie begann mit einer viertelstündigen Sendung nach Mitternacht und wurde sehr schnell zu dem, was man in den 80ern „Kult“ nannte. „Dr. Ruth“ erklomm höchste Einschaltquoten, wurde erst auf eine halbe, dann auf eine ganze Stunde verlängert, erhielt bessere Sendenzeiten und eine wachsende Verbreitung quer durch die USA und schließlich bis nach Europa und Israel.
Nach zehn Jahren wechselte sie ins Fernsehen. In ihrer Sendung „Good Sex! With Dr. Ruth“ empfing sie Prominente auf einem Blümchensofa und befragte sie zu Orgasmen und Verhütung. Westheimer lachte viel und nahm umstandslos Wörter wie Penis und Vagina in den Mund. Diese Tabubrüche in Worten konterkarierte sie mit ihrem strengen Outfit: bis zum Kinn hochgeschlossene, wadenlange Kleider, Gesundheitsschuhe und Betonfrisur.
Da war also eine kleine, alte Dame mit einem interessant klingenden Akzent, die gewissenhaft und zugleich leicht über Sex redete. Selbst jene, die bei ihr nichts Neues hörten, fanden sie unterhaltsam. Westheimer selbst erklärt ihren Erfolg bis heute mit ihrer „Chuzpah, über Dinge zu reden, die andere peinlich vermeiden“ – und damit, dass „für uns Juden Sex nie eine Sünde war“. Gern zitiert sie einen Lehrsatz aus dem Talmud: „Eine Lektion, die mit Humor gelehrt wird, bleibt eine Lektion.“
Als Westheimers Medienkarriere begann, war es in den USA einfacher, über Sex zu reden, als heute. Der Aufbruch aus den 60er Jahren war noch frisch und lebendig, die Evangelikalen und ihre „Moral“ hatten noch nicht die öffentliche Meinung erobert. Westheimer kam 1928 in einer orthodoxen jüdischen Familie bei Frankfurt am Main zur Welt. Mit elf, als der Nazi-Terror voll ausgebrochen war, wurde sie in ein Kinderheim in der Schweiz geschickt. Als sie dieses sechs Jahre später verließ, hatte sie keine Verwandten mehr.
Sie zog nach Palästina und kämpfte mit der Waffe in der Hand in der zionistischen Untergrundarmee Hagana, bis sie 1948 bei einem Bombenabwurf in Jerusalem schwer verletzt wurde. Später studierte sie Psychologie in Paris und New York. Eigentlich wollte sie dort eine Abschlussarbeit über „Holocaustwaisen“ schreiben. Doch bei einem Job in einem Familienplanungszentrum erkannte sie „Amerikas Besessenheit mit Sex“ – und war auf ihre Art selbst fasziniert davon.
Am 4. Juni, wird sie 90. Hilfesuchenden rät sie mittlerweile etwa: „Stell die Musik und das iPhone aus. Und lass deine Sorgen vor der Tür.“ Kürzlich beklagte sie in einem Interview, dass die Jüngeren, sogenannte Millennials, nicht genug über den Holocaust wüssten. Aber lieber hält sie sich aus solchen Themen heraus: „Ich befasse mich mit Sex, nicht mit Politik.“
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