Inklusion im Internet: Jede Barriere sperrt Behinderte aus
Einer unserer Autoren ist blind, der andere gehörlos. Wie viele andere bewegen sie sich viel im Netz. Zwei Erfahrungsberichte.
Der 17. Mai 2018 ist der internationale Global Accessibility Awareness Day. Er soll für barrierefreie Zugänge im digitalen Raum sensibiliseren. Dabei ist Barrierefreiheit nicht gleich Barrierefreiheit – für blinde Menschen etwa ist Kompatibilität mit Vorlesesoftwares wichtig, für gehörlose Menschen sind es Untertitelungen, für Menschen mit Lernschwierigkeiten oder auch Personen mit wenig Deutschkenntnissen ist es Leichte Sprache. Unser einer Autor ist blind, der andere gehörlos. Hier berichten sie, was ihnen im Netz an Barrieren begegnet – und was sie sich wünschen würden.
Blind unterwegs in der Bilderwüste
Mein bester Freund hat bald Geburtstag. Ich will ihm eine besondere Kaffeetasse schenken: Ein Sammlerstück mit Motiven aus unserer Lieblings-Fernsehserie. Bestellen lässt sich diese Tasse nur über einen Onlineshop für Fanartikel.
Also schmeiße ich meinen Rechner an und öffne die Internetseite des Shops. Ich arbeite an einem ganz gewöhnlichen PC. Eine spezielle Software, ein sogenannter Screenreader, liest mir über eine künstliche Stimme alles vor. Damit kann ich schnell und effektiv fast alle Programme bedienen. Online eine Tasse bestellen sollte also eigentlich kein Problem sein. Weit gefehlt!
Als sich die Seite endlich aufgebaut hat, ist sie so mit Werbung überfrachtet, dass mein Screenreader mit dem Vorlesen kaum noch hinterherkommt. Das Menü besteht nur aus grafischen Links – eine Bilderwüste. Sehenden ist sofort klar, was sich hinter den Bildchen verbirgt. Aber für Blinde wurde mal wieder kein Text hinterlegt – und so stellt das Menü sich für mich als „Bild001“, „Bild002“ und so weiter dar. Wenig aussagekräftig.
Es dauert ewig, bis ich mich auf die richtige Unterseite gehangelt habe. Ich kann mich kaum orientieren, weil es keine klar als solche ausgezeichneten Überschriften gibt, zu denen ich per Tastendruck springen könnte. Einmal spielt sogar ungefragt plötzlich ein Video ab – so laut, dass ich meine Sprachausgabe überhaupt nicht mehr verstehe.
Endlich habe ich die richtige Tasse gefunden. Ich hoffe es zumindest, denn natürlich gibt es auch hier nur ein Bild, keine Textbeschreibung. Egal, die Tasse liegt im Warenkorb – Shopping-Hürdenlauf erfolgreich beendet.
Doch zu früh gefreut. Ich finde nirgends einen Button, mit dem ich meinen Einkauf abschließen kann. Wahrscheinlich ist auch der wieder ohne einen Alternativtext programmiert worden. Aber warum auch – jedem „normalen“ Nutzer springt er doch sofort ins Auge. Vielleicht ein großer, grüner Button oder etwas in der Art. Nicht zu übersehen, doch für mich leider unsichtbar.
Hilft alles nichts, ich muss mir die Tasse durch einen sehenden Bekannten bestellen lassen. Das ist jetzt alles ein paar Wochen her.
Barrierefreiheit ist nicht einfach nur eine nette Geste. Jede Barriere im Netz sperrt Behinderte aus, ganz egal, ob gewollt oder nicht. Was ist mit Kinoseiten und Streaming-Diensten wie Netflix? Oder Seiten von Reiseunternehmen? Für Blinde doch sowieso uninteressant, denken die Betreiber oft. Da brauchen wir uns auch nicht um Barrierefreiheit zu kümmern.
Thorsten Schweinhardt, Journalist
Falsch gedacht! Auch Blinde gehen ins Kino, schauen online Serien und wollen ab und an mal in den Urlaub. Und von Zeit zu Zeit wollen wir auch im Internet shoppen, wie das auch allen Sehenden möglich ist.
Die Tasse kam übrigens super an. Was ich mir zum Geburtstag wünsche? Hmm, wie wäre es mit Barrierefreiheit?
Thorsten Schweinhardt, 33 Jahre alt, arbeitet als Radiojournalist beim Hessischen Rundfunk. Unter hoerfutter.com bloggt er seit einem Jahr gemeinsam mit einer ebenfalls blinden Freundin. Dort beschreiben sie unter anderem, wie man als Blinder Spaß an TV-Serien haben kann und wie man blind kocht.
***
„Mit dem Video-Internet ging es bergab“
Eigentlich ist das Internet für mich lange Zeit der Inbegriff der Barrierefreiheit gewesen. Handys sowieso. Chat-Nachrichten, Foren – plötzlich war mühelose Kommunikation per Text möglich. Kein anstrengendes Lippenlesen mehr, Videos gab es sowieso keine, und wenn, dann hängte sich der Player auf.
Erste Anzeichen, dass das Internet auch akustisch werden konnte, kamen mit MP3s auf – das inzwischen fast vergessene Format läutete das Zeitalter der online übertragenen Medien ein. Doch bis YouTube war es ein weiter Weg, und dann ging es bergab: Fast alle Videos in der Frühzeit des Video-Internets waren nicht untertitelt. Inzwischen ist die Lage besser: Die automatische Spracherkennung von YouTube arbeitet im Einzelfall ganz gut, aber noch sind diese Auto-Untertitel kein Ersatz. Aber das Problem ist bekannt: Videos brauchen Untertitel.
Genau genommen brauche ich Untertitel. Ohne sie kann ich das Gesagte nicht verstehen. Netflix ist da sehr konsequent und untertitelt alles, doch fast jede andere Videoplattform ist für mich ein Rückschritt, ebenso multimediale Formate. Snapchat bringt mir so gut wie nichts.
Inzwischen ist es zwar so, dass viele professionelle Internetseiten ihre Clips untertiteln. Das passiert aber weniger wegen uns Gehörlosen, sondern eher, weil solche Videos in der U-Bahn ohne Kopfhörer geguckt werden können und der Zuschauer die anderen Mitfahrenden nicht belästigen will. Eigentlich ein Armutszeugnis – aber einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.
Online ignoriere ich Videos oft einfach, auf YouTube gucke ich nur ganz bestimmte Videos: Einen Trailer hier oder ein sicher untertiteltes Video da. Von Bibi und Tina und wie die ganzen Stars heißen, habe ich keinen Schimmer. Das ist aber wie bei Snapchat sicher auch ein Altersfaktor. Vor allem – das darf man auch nicht vergessen – ist es einfach so, dass ich keine Videos nebenher laufen lassen kann, für das akustische Hintergrundgeplänkel. Mit einem Auge hingucken gibt es nicht. Entweder volle Aufmerksamkeit oder keine.
Insofern vermisse ich YouTube-Stars und Let’s Plays nicht wirklich. Schön wäre es aber, wenn zumindest die TV-Sender ihre Mediatheken komplett und immer untertiteln könnten. Denn da habe ich Bedarf, und oft funktionieren die Untertitel nur, wenn man den richtigen Browser benutzt. Über einen Fernseher streamen geht nur mit viel Glück und einem gut vorbereiteten Sender.
Ohnehin ist die größte Schwachstelle für Barrierefreiheit für mich immer noch die Infrastruktur: Mit mehr Volumen im Handyvertrag würde ich viel mehr videotelefonieren. Kannste in Deutschland aber knicken.
Wille Felix Zante, 34, ist freier Autor, vor allem für die Deutsche Gehörlosenzeitung und Leidmedien.de. Bei Possible World e.V. macht er als Schauspieler und Dramaturg Theater. Er ist Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Linke gegen AfD und BSW
Showdown in Lichtenberg
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten