Vom Rock-Klopsbis zur Luftgitarre

Mit dem Festival „blurred edges“ lädt der Verein für aktuelle Musik Hamburg zum 13. Mal zur akustischen Abenteuerreise durch die weitverzweigte Szene für aktuelle Musik. Zu entdecken gibt‘s auch diesmal viel Unerhörtes. Die taz schlägt Einstiegspunkte vor und rät: Lassen Sie sich treiben!

Illustration: Imke Staats

Ebbe und Flöte

Der Hamburger Komponist Sascha Lino Lemke ist – durchaus mit Humor begabter – Spezialist für solche Doppeldeutigkeiten respektive Spagate: An der Nahtstelle von elektronischer und akustischer Klangerzeugung sucht Lemke all das, was in der Interaktion ein Eigenleben entwickelt.

Im Kunstforum der Gedok vernäht sich Lemkes Elektronik, Marcia Lemke-Kerns Sopran und Jennifer Hymers Klavier mit dem Blockflötenensemble „Elb‘an Flutes“: „Blockflöte plus“ heißt das Motto. (matt)

So, 3. 6., 18 Uhr, Gedok, Lange Reihe 75

Luftgitarre mal anders

Luftgitarre spielen, das ist klassischerweise – abgesehen von etwaigen, im mit dem unsichtbaren Instrument gestenreich begleiteten Rockgewitter ohnehin untergehenden Atem- und anderen Körpergeräuschen – ein tonloses Unternehmen.

Der Niederländer Raphael Vanoli aber versteht Luftgitarre ganz anders: Eine echte, handfeste Gitarre bespielt er mit, genau: Luft. Mit sanften Atem entlockt er dem Instrument bei maximal aufgedrehten Sensoren (und mit Unterstützung von Effektpedalen) allerlei wabernde, rauschende, raschelnde oder grollende Töne. Und eine tolle neue Art, klassische Luftgitarre zu spielen, klingt da auch an: Das sieht dann ein bisschen so aus, als verbeißt man sich in deren Hals (matt).

Do, 7. 6., Nachtasyl im Thalia Theater, Alstertor 1

Richtig falsch

Wo liegt der Unterschied zwischen Attitüde und Algorithmus, wo der zwischen (falsch verstandenem) Zufall und richtigen Fehlern? Und wo der zwischen Hören und Sehen?

„Kapital Band 1“ heißt das Projekt des Berliner Cellisten und Elektronikers Nicholas Bussmann und des österreichische Percussionisten Martin Brandlmayr, in dem sie sich seit 15 Jahren mit Improvisation mit Maschinen beschäftigen. Im Künstlerhaus Faktor stehen sich ein algorithmisch gesteuerter Automat, ein Klavier und ein Schlagzeug gegenüber.

Eine Maschine, einen Lichtscanner nämlich, bringt auch der Störgeräusch-Experte Felix Kubin an diesem Abend mit: Der liest dann grafisch notierte Musik und ein Modularsynthie macht wieder Klang draus. (matt)

Di, 29. 5., 20 Uhr, Christianskirche Ottensen

Aus Protest gegen die Kulturpolitik von CDU und Schill-Partei 2006 gegründet, präsentiert „blurred edges“ („unscharfe Ränder“) zum 13. Mal bis zum 10. Juni an über 32 Orten die ganze Vielfalt experimenteller Musik: Analoges, Elektroakustisches und Elektronisches, Komponiertes und Improvisiertes, Fieldrecordings, Performances und akustische Spaziergänge. Das ganze Programm findet sich unter www.blurrededges.de. (matt)

Zeit und Wiederholung

Dahingestellt, dass sich natürlich, recht besehen, alle Musik auch als Verhältnis von Zahlenwerten begreifen lässt: Besonders deutlich wird der Zusammenhang von Zeit und WIederholung, wenn nun, überschrieben mit „Tönende Zahlenkombinationen in 100 Minuten“ das Conceptual Art Quartet Stücke von Nikolaus Gerszewski und Lokalmatadorin Hanne Darboven (1941–2009) spielt: Strenges Durchdeklinieren tonaler Abstände trifft auf „eine stufenlos regulierbare Klangmaterie mit wechselnden Parametern“, und dass man im Pudel wohl wird rauchen dürfen – ganz im Sinne Darbovens.

Davor sind neben Komponist Gerszewski auch Vertreterinnen Florentine Gallwas und Nicole Krapat (Hanne Darboven Stiftung) zum Podiumsgespräch anwesend. (aldi)

Mi, 30. 5, 21 Uhr Gespräch; 21.30 Uhr Konzert, Golden Pudel Club, St Pauli Fischmarkt 27

Musik-Treibgut

Kommen wir zum geheimen Helden dieses Festivals, das nicht so recht eines sein will: Nicht weniger als einen „mäandernden Rock-Klops“ verspricht man uns, wenn rund ein Dutzend Schlag- und Saiteninstrumente von schwimmenden Pontons aus den immer noch nicht so richtig durchgentrifizierten Stadtteil Wilhelmsburg beschallen. In Anspielung auf „In C“, das nicht zuletzt ja dempokratischen Idealen folgende Stück des US-Minimalisten Terry Riley, nennt sich die Sause „In Sea“ – dabei ist es doch nur ein Kanal, auf dem man schippert. Gemein mit „In C“ aber ist dem jetzt Anstehenden der durchgehende Puls und das begrenzte Material, das jedem Instrumentalisten an die Hand gegeben ist – zur Wiederholung, so oft, wie es gefällt. (aldi)

Sa, 2. 6., 22 Uhr, Das Archipel, Veringkanal (Ostseite)