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heute in bremen„Kapitalismus neu betrachten“

Charlie Mahoney

Sven Beckert ist Historiker in Harvard und Autor von „King Cotton. Eine Globalgeschichte des Kapitalismus“.

Interview André Zuschlag

taz: Herr Beckert, was ist so besonders an Baumwolle?

Sven Beckert: Baumwolltextilien sind vielseitig, lassen sich leicht waschen, können wunderbar gefärbt werden, sind angenehm zu tragen – alles Gründe, weswegen die Baumwolle die bevorzugte Textilfaser in der Geschichte der letzten 1.000 Jahre war. Und die Geschichte der Baumwolle hilft, den Kapitalismus, die Globalisierung und die Ungleichheit von einer neuen Perspektive aus zu betrachten.

Ist die Produktion von Baumwolltextilien nicht älter als der Kapitalismus?

Ja, die Baumwollindustrie hat eine 5.000-jährige Geschichte. Sie entfaltete sich jedoch mit dem Aufkommen des Kapitalismus völlig neu. Als in den 1780er-Jahren die industrielle Revolution ausbrach, begann sie in der Baumwollindustrie. Sie stand im Zentrum dieser Geschichte und wurde dann zur wichtigsten Industrie in Europa.

Im Zuge des amerikanischen Bürgerkriegs trat die erste globale Rohstoffkrise auf, die auf allen Kontinenten die Wirtschaft veränderte. Wie kam das?

Hunderttausende Arbeiter in Europa spannten und webten Baumwolle. Drei Viertel dieser Baumwolle kam aus den USA und wurde fast ausschließlich von Sklaven angebaut. Mit dem amerikanischen Bürgerkrieg kamen diese Lieferungen zum Stillstand. Arbeitslosigkeit und soziale Unruhen bereiteten sich in Europa aus. Europäer fanden neue Produzenten in Indien, Brasilien und Ägypten. Diese Länder wurden in neuer Weise in die globale Wirtschaft inte­griert. Und europäische Länder suchten nach Kolonien, in denen Baumwolle abgebaut werden konnte. Die Verschärfung des Kolonialismus Ende des 19. Jahrhunderts hatte also auch mit dem amerikanischen Bürgerkrieg und der Baumwollkrise zu tun.

Welche Rolle spielt Gewalt in der Symbiose von Baumwolle und Kapitalismus?

Vortrag von Sven Beckert im Rahmen des Themensemesters „Global Cotton“: 18 Uhr, GW 2, Uni

Die Gewalt war überall – im bewaffneten Handel mit Indien in 16. und 17. Jahrhundert, im Sklavenhandel an Afrikas Westküste im 18. Jahrhundert, in der Baumwollsklaverei in den USA im 19. Jahrhundert, im Imperialismus des späten 19. Jahrhunderts und in Europas Textilfabriken des 18. und 19. Jahrhunderts, in denen Kinder zur Arbeit gezwungen wurden. Oft wird die Geschichte des Kapitalismus als eine Geschichte des friedlichen Handels, des einvernehmlichen Vertrags und der Eigentumsrechte beschrieben – die Geschichte der Baumwolle zeigt jedoch eine andere Seite.

Welche Rolle spielt Bremen in dieser Geschichte?

Bremen war Deutschlands wichtigster Baumwollhafen, Ende des 19. Jahrhunderts der wichtigste Baumwollumschlagplatz Kontinentaleuropas und der Sitz der Baumwollbörse. Die europäische Baumwollindustrie ist nicht ohne Bremen vorstellbar. Bremen war ein zentraler Ort im globalen Reich der Baumwolle – und die Geschichte Bremens ist ohne sie nicht zu verstehen.

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