: Erst mal eine Suppe
In dieser Woche hat für 1,6 Milliarden Muslime auf der ganzen Welt der Fastenmonat Ramadan begonnen. Fernab von ihren Familien finden drei junge Studierende über das „Iftar“, das abendliche Fastenbrechen, in Leipzig zusammen
Von Anna Flora Schade
Eine Dreiraumwohnung im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses im Stadtteil Neuschönefeld: An der Wand hängen in Gold gerahmte arabische Schriftzeichen. Im größten Raum stehen zwei junge Frauen in Socken nebeneinander auf einem weichen Teppich. Ihre Schultern berühren sich, ihre Köpfe sind gesenkt und mit einem Tuch bedeckt. Dann erhebt die Kleinere der beiden ihre Stimme zum Gesang: Bismilaah ar-Rahman ar-Raheem/ Al hamdu lilaahi rabbil ´alameen/ Ar-Rahman ar-Raheem Maaliki yaoumid Deen
Es sind die ersten Zeilen des Korans, die sogenannte Al-Fatiha-Sure, die nun durch den Frauengebetsraum der Ditip-Moschee an der Hermann-Liebmann-Straße hallen. Jetzt zum Abendgebet, dem magrib, erklingt die Sure dreimal. Die Frauen folgen dabei einem bestimmten Bewegungsablauf. Gleichzeitig, wie zwei Synchronturnerinnen, heben sie die Hände, verneigen sich, stehen wieder aufrecht, verneigen sich noch einmal, gehen in die Knie und legen ihre Stirn auf den Boden. Dann betet jede noch kurz für sich, bevor sie auf leisen Sohlen den Raum verlassen.
Optisch könnten die beiden Frauen nicht unterschiedlicher sein: Während die 21-jährige Ika, die eben den Gesang angestimmt hat, einen langen Jeansrock trägt, dessen Bund von den Falten ihres eng um ihr Gesicht gebundenen Kopftuchs verdeckt werden, liegt Süreyas bunter Schal nur locker über ihrem lose zusammengebundenem Haar. Sie ist modisch gekleidet und hat ihre Augen kräftig mit Kajal umrandet. Nach dem Gebet verstaut sie das Kopftuch in ihrem Rucksack.
Was beide Frauen eint, ist der Hunger. Als sie aus der Moschee ins Freie treten, ist es 21:05 Uhr und der Himmel färbt sich langsam dunkelblau. Während die meisten Passanten dem abendlichen Farbenspiel wenig Beachtung schenken, blicken Ika und Süreya erleichtert hinauf. Sie haben seit dem Morgengebet um 05:34 Uhr nichts mehr gegessen und getrunken.
Damit sind sie nicht allein. Es ist Ramadan, und seit Mittwoch verzichten Muslim*innen auf der ganzen Welt einen Monat lang auf Essen und Trinken, solange die Sonne am Himmel steht. Sie haben keinen Sex und nehmen sich vor, nicht zu rauchen und nicht zu fluchen – in Gedanken an die Notleidenden dieser Welt und an ihren Propheten Mohammed. Das Fasten beginnt stets mit dem Morgengebet zum Sonnenaufgang, dem fadschr, und endet, wenn die Sonne untergegangen ist und das magrib verrichtet wurde.
Die Stunden dazwischen beschreibt Süreya als „eine Zeit der Ruhe und Besinnung“. Man sei in einem ganz anderen Bewusstseinszustand als normalerweise, sagt sie. Vielleicht ein Grund, warum sie sich für das Fastenbrechen auf die Suche nach Menschen begeben hat, die diese Erfahrung teilen.
Ika kennt sie aus der muslimischen Hochschulgemeinde. Fernab von ihren Familie haben sich die beiden Frauen auf der Suche nach religiöser Gemeinschaft zusammengetan. Unter anderen Umständen hätten sie wohl wenig miteinander zu tun. Zu unterschiedlich sind ihre Lebensstile.
Die 28-jährige Deutschtürkin Süreya ist im Ruhrpott groß geworden und für ihr Arabistikstudium nach Leipzig gezogen. Sie findet, jede Frau müsse ihren eigenen religiösen Weg einschlagen. Ihre Familie lebt nicht streng religiös. „Wir fasten zwar an Ramadan, aber meine Mama trägt kein Kopftuch und meine Cousine ist mehr als freizügig angezogen“, erzählt sie. Ob sie ihr Kopftuch irgendwann auch außerhalb des Gebetsraumes tragen wird, weiß sie noch nicht.
Für Ika stellt sich diese Frage nicht. Nach ihrem Abschluss an der islamischen Oberschule kam die damals gerade einmal 18-Jährige allein nach Deutschland, um ihren Traum zu verwirklichen und Gynäkologin zu werden. „Eigentlich wollte ich nach Harvard“, scherzt sie „aber das hat nicht geklappt.“ Nun ist es Leipzig geworden. Und ihr Kopftuch trägt sie auch hier mit Stolz. „Es gehört einfach zu mir, es ist ein Bekenntnis“, sagt sie. „Ich könnte mir nicht vorstellen, es wieder abzunehmen.“
Und dass obwohl die zierliche Medizinstudentin spürt, wie fremd sie so auf manche Menschen wirkt. „Ich merke das im Bus, wenn mich die Leute von oben bis unten mustern“, erzählt sie. „Meist lächle ich dann einfach. Wenn jemand den Blick gar nicht mehr abwendet, sage ich ‚Hallo‘.“ Mit dieser Strategie kommt die 21-Jährige bisher gut zurecht.
Nun folgt sie zögernd Süreya, während diese, die rote Fußgängerampel ignorierend, selbstbewusst die Eisenbahnstraße überquert. In dem türkischen Restaurant auf der anderen Straßenseite treffen die beiden Frauen Paul, ebenfalls Mitglied der muslimischen Hochschulgruppe.
Die braun bestickte Gebetskappe noch auf dem Kopf, die Jeans auf den Hüftknochen sitzend, sieht er ziemlich lässig aus. Während der muslimische Glauben für Ika und Süreya von Geburt an Teil ihres Lebens ist, ist der 26-jährige Theologiestudent erst vor ein paar Monaten zum Islam übergetreten. Er kommt gerade aus der Takya-Moschee ein paar Straßen weiter. Das Christentum sei ihm zu blass geworden, zu undefiniert, sagt er. „Der Islam spricht mich dagegen ganz anders an. Er hat eine sehr spirituelle Komponente.“
Doch nach fast 16 Stunden ohne Essen und Trinken, nachdem die Sonne untergegangen und das Abendgebet verrichtet ist, sind die Bedürfnisse der drei Studenten gerade eher weltlicher Natur.
Der Restaurantbesitzer hinter der Theke schaut kurz auf seine Armbanduhr und schiebt den Gästen dann schon einmal ein paar Datteln herüber. Auf Türkisch bestellt Süreya eine Suppe. „Das weitet den Magen“, sagt sie. „Wenn man sofort einfach alles in sich hineinstopft, kann das schnell unangenehm werden.“ Paul, der dieses Jahr zum ersten Mal fastet, kann das nur bestätigen: „Die ersten Tage war mir nach dem Essen schlecht.“
Als dann Fladenbrot, rote Linsensuppe, glänzender Reis und saftiges Rindfleisch vor den drei Studierenden stehen, sind für einen Moment alle Unterschiede zwischen ihnen vergessen. Wie für vier Millionen Muslime in Deutschland auch beginnt für Ika, Süreya und Paul nun das Iftar, das Fastenbrechen.
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