: „Eine Weile froh werden“
Selbstbewusste Hommage: Das Brücke-Museum erfindet sich neu und rekonstruiert dafür en détail dafür die erste Ausstellung des 1967 gegründeten Hauses. Das Museum habe ein großes, noch nicht ausgeschöpftes Potenzial, sagt die neue Leiterin Lisa Marei Schmidt
Von Beate Scheder
„Und der Besucher ist hingerissen von dieser neu erstandenen lebendigen Chronik: Wann je hat man expressionistische Malerei so hängen sehen? So aus sich selbst leuchtend, so raumfüllend, in einer so lichten und – scheinbarer Widerspruch in sich selbst – intimen Weite?“
Mit diesen Sätzen beschrieb die Zeitschrift Bauwelt im Jahr 1967 das neu eröffnete Brücke-Museum. Auch der Künstler Karl Schmidt-Rottluff, der mit einer Schenkung von 74 Gemälden an das Land Berlin die Gründung des Museum initiiert hatte, gab sich in einem Brief an Werner Düttmann entzückt. Der Architekt hatte nicht nur den Bau entworfen, sondern auch die Inneneinrichtung gestaltet: „Sie haben mit diesem Bau des Brücke-Museums etwas hingestellt, das man nicht anders als rühmen kann […]. Ihr Bau hat durchgehend gute Verhältnisse und rechtes Maß. Die Lichteinfälle sind überhaupt die Lösung und die Landschaft ist geradezu beglückend einbezogen. Es müsste jeder Besucher für eine Weile dort froh werden.“ Heute, im Mai 2018, kann man beides in dem Booklet zur neuen Ausstellung des Museums nachlesen und gleichzeitig überprüfen, ob sich diese Begeisterung mehr als 50 Jahre später noch einmal hervorrufen lässt. „Ein Künstlermuseum für Berlin: Karl Schmidt-Rottluff, Leopold Reidemeister und Werner Düttmann“ rekonstruiert die erste Sammlungspräsentation, die 1967 zu sehen war. En détail.
Alles andere als muffig-museal
Die Ausstellung ist die erste der neuen Direktorin Lisa Marei Schmidt. Zuvor als Kuratorin am Hamburger Bahnhof, übernahm sie die Leitung des Hauses im Herbst von ihrer Vorgängerin Magdalena M. Moeller, die dort fast 30 Jahre gewirkt hatte. Es ist programmatisch zu verstehen, dass Schmidt mit einer historischen Schau antritt, mit einer selbstbewussten Hommage an die Gründung des Museums und die drei daran beteiligten Männer, den Künstler Schmidt-Rottluff, den Gründungsdirektor Reidemeister und den Architekten Düttmann, die jedoch alles andere als muffig-museal daherkommt.
Im Gegenteil: Schmidt ließ Schmutzteppich und Bohnerwachs entfernen und legte den anthrazitfarbenen Fliesenboden im Eingangsbereich frei. Sie breitete Düttmanns warmgelben Kokosteppich in den Ausstellungsräumen aus, ließ Vitrinenschränke originalgetreu nachbilden, stellte die Düttmann’schen Tische und Sitzmöbel exakt so wie vor 50 Jahren und vor allem: Sie brachte die Gemälde, Grafiken, Zeichnungen und Skulpturen nach den Abbildungen der Debütausstellung an die Wand beziehungsweise aufs Podest. „Es war Detektivarbeit vonnöten, herauszufinden, was wo hing“, sagt die Direktorin.
Anhand von Fotografien ging sie gemeinsam mit ihrem Team vor. Wie ernst sie das nahmen, davon zeugen die Lücken in der Ausstellung, die auch als solche markiert werden. Das geschah immer dann, wenn die entsprechenden Arbeiten nicht ausgestellt werden konnten, weil sie sich momentan oder an sich nicht in der Sammlung befinden, oder wenn nicht rekonstruiert werden konnte, was an der Stelle hing. Für heutige Museumsbesucher*innen ist es durchaus ungewöhnlich zu sehen, wie damals die Kunst präsentiert wurde, ziemlich dicht und tief nämlich. Auch das trägt aber zum Reiz der Ausstellung bei. Noch nie habe sie auf Unterkante gehängt, erzählt Schmidt und davon, wie sie sich mit den grauen Passepartouts der Papierarbeiten erst anfreunden musste. Diese stecken nun nicht in wuchtigen Holz- sondern schmalen Klemmrahmen. Hinreißend sind solche Details tatsächlich.
Schmidt hat noch viel vor: „Das Haus hat ein großes Potenzial, das noch nicht ausgeschöpft ist“, sagt sie. Das stimmt, obwohl die Besucherzahlen gut sind. An guten Sonntagen kämen bis zu 1.000 Besucher*innen, heißt es. Der neuen Direktorin geht es daher nicht um ein bloßes Mehr. Sie will ein Publikum anziehen, das bislang den Weg noch nicht in das Brücke-Museum gefunden hat. An der Seite hat sie für diesen Zweck mit Daniela Bystron eine sogenannte Curator of Outreach. Es gibt Überlegungen für Kooperationen mit Anwohner*innen, Schulen, Seniorenheimen, mit Wissenschaftler*innen und zeitgenössischen Künstler*innen. Zu Letzteren ist auch Kamal Sallat zu zählen, der als Fellow im Programm „Weltoffenes Berlin“ für Kunstschaffende mit Fluchthintergrund ein Jahr lang mit dem Museum kooperiert.
Das Brücke-Museum ist ein Kleinod nicht nur für Kunstliebhaber, sondern auch für Architekturbegeisterte, jedoch hat es einen Haken: seine Lage. Die ist zwar an sich reizvoll, direkt am Grunewald, mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist es aber etwas umständlich dorthin zu gelangen. Schmidt setzt sich momentan dafür ein, dass der X10er-Bus zukünftig auf Höhe des Museums hält.
So lange warten sollte man nicht. Den Weg auf sich zu nehmen lohnt sich ab sofort auch für den Pavillon, den die Künstlerin Sol Calero in den Garten gebaut hat. „Casa Isadora“ lautet der Titel der begehbaren Installation. Workshops für Kinder, Familien und Erwachsene sind für die Laufzeit gedacht, in denen die künstlerischen und kunsthandwerklichen Techniken der Brücke-Künstler ausprobiert werden sollen.
Calero, die im vergangenen Jahr für den Preis der Nationalgalerie nominiert war und im Hamburger Bahnhof ihr „Amazonas Shopping Center“ errichtet hatte, ist eine passende Wahl, stehen deren Gemälde und Environments den Brücke-Bildern an kraftvoller Farbigkeit doch in nichts nach. Mit ihrem Pavillon nimmt sie Bezug auf das von Ernst Ludwig Kirchner und Max Pechstein 1911 gegründete kunstpädagogische MUIM Institut. Im Sommer soll das Programm starten.
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