Fahrtziel Abgrund

Taxi Driver in Sofia: Stephan Komandarevs Film „Directions – Geschichten einer Nacht“

Von Michael Meyns

In Sofia spielt „Directions – Geschichten einer Nacht“, der vierte Spielfilm des bulgarischen Regisseurs Stephan Komandarev, doch es könnte auch Bukarest sein oder Belgrad oder eine andere osteuropäische Metropole ein gutes Vierteljahrhundert nach Ende des Sozialismus. Besonders das rumänische Kino hat in den vergangenen Jahren verdienten Weltruhm mit Filmen erlangt, die die moralischen Abgründe einer Nation aufzeigen, die in rasantem Tempo versäumte Entwicklungen nachholt und sich dem westlichen Konsumkapitalismus anpasst, aber auch noch tief in den sozialistischen Strukturen der Vergangenheit verhaftet ist.

Einen ähnlichen Ansatz wählt auch Komandarev, dessen Film im Taxi von Mischo beginnt. Ein wichtiger Termin mit seinem Bankberater steht an, doch vorher bringt er seine Tochter zur Schule. Dort springt eine ihrer Schulkameradinnen ins Auto und bittet Mischo, sie zu ihrer kranken Oma zu fahren. Doch ihr Gehabe, die freizügige Kleidung, in die sie auf der Rückbank wechselt und vor allem das Ziel, ein stadtbekanntes Hotel, lassen schnell klar werden, dass das Mädchen anderes im Sinn hat.

Das ist nicht die letzte moralische Herausforderung, die im Folgenden angedeutet wird, Komandarev scheint es sich zum Ziel gesetzt zu haben, kaum ein gutes Haar an seiner Heimat zu lassen, unerbittlich den Finger in die Wunde zu stecken. Mischos Gespräch mit dem Bankberater endet in einer Katastrophe: Sein Kredit soll nicht verlängert werden, es sei denn, Mischo bezahlt höhere Bestechungssummen. Im Affekt tötet Mischo den Banker und versucht anschließend, Selbstmord zu begehen. Auch wenn diese erste Episode abrupt endet, bestimmt sie doch den Rest des Films, der diverse andere Taxifahrer bei nächtlichen Fahrten beobachtet, bei ihren Gesprächen und Konflikten mit Passagieren, bei einem wahren Reigen an Episoden, die durch die Tat Mischos überschattet werden.

Immer wieder wird im Radio über den Fall berichtet, manche Fahrer bezeichnen Mischo als Mörder, andere zeigen Verständnis. Sie alle haben eigene Erfahrungen mit dem System gemacht, Rada etwa, die in einem Fahrgast den Mann erkennt, der ihr einst, in den letzten Jahren des Sozialismus, das Studium im Ausland verbaute und sie damit zum Leben am Existenzminimum zwang. Oder Andrei, der tagsüber als Priester arbeitet und sein nicht ausreichendes Gehalt des Nachts mit Taxifahren aufbessert.

Aus diesen Versatzstücken malt Komandarev ein Sittengemälde, das fast schon zynisch wirkt, abgestoßen von all dem Elend, der Korruption, der Prostitution, des Machtmissbrauchs. Kaum ein gutes Haar lässt Komandarev an seinem Land, trägt – auch durch die Kürze, die notwendige Zugespitztheit der Episoden bedingt – bisweilen sehr dick auf, vereinfacht sicher hier und da, um am Ende doch Momente der Hoffnung aufblitzen zu lassen: Nicht alle Begegnungen dieser Nacht in Sofia enden im Streit oder gar der Gewalt, doch die Hoffnung, dass sich das Land am Rand Europas bald zum Besseren entwickeln wird, kann man nur ahnen.

„Directions – Geschichten einer Nacht“. Regie: Stephan Komandarev, Darsteller: Vasil Vasilev-Zueka, Ivan Barnev, Bulgarien 2017, 100 Min.