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Ein umstrittener Schlussstrich in Algerien

Ende des Monats will Präsident Bouteflika das Volk über eine Generalamnestie für Islamisten und Staatsbedienstete abstimmen lassen. Organisation der Angehörigen Verschwundener spricht von „großem Täuschungsmanöver“

MADRID taz ■ Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika will endgültig einen Schlussstrich unter die „nationale Tragödie“ ziehen. Zu diesem Zweck plant er eine Generalamnestie für die Mitglieder bewaffneter islamistischer Gruppen sowie für Polizisten, Soldaten und Geheimdienstler, die im über zehnjährigen blutigen Konflikt zwischen Staat und radikalen Islamisten Gewalttaten begangen haben. Am 29. September sollen die Algerier über die „Charta für Frieden und Versöhnung“ in einem Referendum abstimmen.

Menschenrechtsorganisationen und viele Angehörige der Opfer sind mit dem geplanten allgemeinen Straferlass nicht einverstanden. „Eine solche Amnestie widerspricht dem internationalen Recht“, beschwert sich Menschenrechtsanwalt Mustafa Bouchachi. Algerien sei nach Jugoslawien das Land, in dem in den letzten beiden Jahrzehnten die größten Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen gewesen seien. Über 150.000 Menschen haben nach offiziellen Angaben ihr Leben verloren. 6.146 sind laut einer staatlichen Untersuchungskommission unter den Händen von Polizei und Armee verschwunden. Bouchachi spricht von über 200.000 Toten und 20.000 Verschwundenen.

Auch die Mitglieder von SOS Disparus, der Vereinigung von Angehörigen der Verschwundenen, fühlen sich von Bouteflika hintergangen. Seit Jahren fordern sie eine internationale Untersuchungskommission. Die algerische Regierung ließ dies nicht zu. Stattdessen wurde ein nationaler Untersuchungsausschuss eingesetzt, der Ende März die Liste mit den Namen von 6.146 Menschen veröffentlichte, die in den Händen „der Agenten des Staates verschwunden sind“. Die Täter seien „nur schwer zu identifizieren“ und hätten „auf eigene Rechnung“ gehandelt. Der Staat sei deshalb verantwortlich, aber nicht schuldig, erklärte der Vorsitzende des Ausschusses.

„Selbstverständlich ist der Staat schuldig. Die Verbrechen geschahen im Auftrag der Regierung. Ein Offizier handelt nicht ohne Befehl von oben“, entgegnet die SOS-Disparus-Chefin Fatima Yous. Sie wirft Algier ein „großes Täuschungsmanöver“ vor. „Die Menschenrechtsverletzungen sollen endgültig der Strafverfolgung entzogen werden“, ist sich Yous sicher.

Denn eine Amnestie für den Untergrund brauche es nicht mehr. Sie wurde 2000 von Bouteflika mit seinem Gesetz zur „zivilen Eintracht“ gewährt. Tausende Untergrundkämpfer kehrten ins zivile Leben zurück. „Die Generalamnestie soll nur eines bezwecken: das Kapitel der Verschwundenen abzuschließen, ohne uns unsere Angehörigen zurückzugeben oder Recht zu sprechen“, sagt Yous.

Auch international werden Proteste laut. Amnesty international verlangt von der EU, dass sie sich gegen die Generalamnestie ausspricht. „Die Verantwortlichen für die schweren Menschenrechtsverletzungen müssen sich für ihre Taten verantworten“, erklärt der ai-Europadirektor Dick Oosting. Die von Bouteflika geplante Generalamnestie würde Algeriens internationale Verpflichtungen verletzen und die Glaubwürdigkeit des Assoziationsabkommens mit der EU, das Anfang des Monats in Kraft trat, in Frage stellen.

Präsident Bouteflika lässt sich von den Protesten nicht aus der Ruhe bringen. Er reist durchs Land und wirbt für seine Generalamnestie. Dabei stößt er auch immer wieder in den eigenen Reihen auf Unmut. Viele Anhänger Bouteflikas wollen den bewaffneten Islamisten und ihrem Umfeld, dem so mancher im Staats- und Militärapparat zum Opfer fiel, nicht so einfach vergeben. 500.000 Algerier sollen nach staatlichen Schätzungen in Terrorakte verwickelt sein.

Auf einer Veranstaltung im ostalgerischen Skida machte Bouteflika klar, dass die Straffreiheit für Islamisten nur ein Nebeneffekt der Generalamnestie ist. Er empfahl „zwischen den Zeilen der Charta für Frieden und Aussöhnung zu lesen“. „Es handelt sich darum, im Namen des Volkes den Schutz der Nationalen Volksarmee sicherzustellen“, fügte er hinzu und bestätigte damit ganz offen die Befürchtungen der Menschenrechtsorganisationen. REINER WANDLER

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