NILSTACHELMAUS: Die kleine Depression
Von wegen, der Herbst ist die gemütliche Jahreszeit: Spätestens im Oktober ist die erste Erkältung da, und das bisschen übrige Geld landet beim Apotheker. Schlecht geht’s, und dann kommt auch noch die Depression. Von einem grauen Blau ist der Anlass diesmal, grazil und schön, mit spitzer Nase und großen traurigen Augen.
Bis vor unserem Urlaub war die kleine Nilstachelmaus bei Karstadt am Hermannplatz noch munter mit ihrer Gespielin durch den Glaskasten getobt. Sie hatten sich im Laufrad gejagt und die Welt dann doch lieber aneinandergeschmiegt von ihrem hellen Platz rechts oben auf der Lampe angeguckt. Hatten sich gezaust und gefüttert und vermutlich Lieder in Ultraschall vorgesungen, die wir nicht hören konnten. „Nur zusammen abzugeben“ stand groß am Mäusegehäuse angeschrieben.
Aber als wir beim Fall der ersten Blätter wieder da sind und beim samstäglichen Townen wie alle Neuköllner einen Blick in die Tierabteilung werfen, ist die eine der beiden Mäuse verschwunden. Verkauft, sagt die Verkäuferin. Mit schlechtem Gewissen zwar, denn Nilstachelmäuse brauchen Gesellschaft, allein verkümmern sie. Man habe aber auf raschen Nachschub gehofft, und der sei ausgefallen. Nun sitzt das verbliebene Tierchen in der Ecke. Ab und zu rappelt es sich auf und bringt das Rädchen in Schwung. Es sieht dabei so tapfer aus, dass wir gar nicht lange hingucken können. Tagelang meiden wir Karstadt. Zu düster fürs Gemüt ist es, aber wenigstens gut für die Haushaltskasse.
Gestern Abend haben wir es dann noch einmal gewagt. Die kleine Nilstachelmaus ist umgezogen. Statt in dem großen Käfig in Blickhöhe wohnt sie nun in einem kleinen unten in der Ecke, wo die Kinder ihre Patschhände gegen das Glas hauen können. Hat Karstadt sie aufgegeben? Wir denken über eine Befreiungsaktion nach. JÜRGEN KIONTKE UND BEATE WILLMS
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