piwik no script img

wortwechselAve Söder! Ave Crassus!Vergelt’s Gott!

Bayerns Kreuzschmerzen – im 21. Jahrhundert ein ethischer Haltungsschaden? Gedenkt Bayern jetzt auch der von Crassus gekreuzigten Sklaven nach dem Spartakusaufstand?

Das Kreuz gehört in Bayerns Amtsstuben. Sagt Markus Söder Foto: Peter Kneffel/dpa

„Das Kreuz in der Kirche lassen!“, taz vom 30. 4. 18

Eine Entwürdigung

Das Armutszeugnis an Kleingeistigkeit, Machtanspruch und Ignoranz, welches sich Herr Söder mit seiner neuen Geschäftsordnung ausgestellt hat, ist schier nicht zu überbieten. Unsäglich! Ich glaube nicht, dass Herr Söder offen ist für Argumente, wie die Ausgrenzung anderer Religionen, den Missbrauch des Kreuzes, die Entwürdigung des Kreuzes, der Trennung von Kirche und Staat. Wenn ich Leiterin eines bayrisch staatlichen Dienstgebäudes wäre, würde ich, bis auf Weiteres, neben das Kreuz einen Davidstern, ein Samsara und ein Hilal hängen. Angela vom Baur, Straubenhardt

Was noch? Gebetsmaut!

In allen öffentlichen bayerischen Einrichtungen soll der Gekreuzigte Heiland bald gut sichtbar im Eingangsbereich hängen. Gute Idee! Die kann Söder sogar noch zu Geld machen: Jede/r nichtbayerische Christ/in muss dann vor dem Betreten einer dieser Einrichtungen kniend eine Maut bezahlen. Außerdem wird ein neuer, natürlich absolut fälschungssicherer bayerischer Personalausweis für alle Bayern/innen obligatorisch (deshalb nicht lächeln auf dem Passfoto). Dort wird amtlich vermerkt: Bayerischer Christ ja/nein (Kreuzchen bei männl./weibl. erübrigt sich seit der letzten Wahl für diesen Freistaat). Vorbilder für solch eine Maut gibt’s ja schon genügend.

Auf fast jeder öffentlichen Bedürfnisanstalt muss man schon eine „Maut“ bezahlen. Diese Einrichtungen sollten also sofort und vorrangig mit einem gut sichtbar am Kreuz hängenden Heiland ausgestattet werden. Johannes Haschke, Bochum

Spendet Kreuze!

Da die bayrische Regierung scheinbar einen Mangel an vorzeigbaren Kreuzen hat, rufe ich alle MitbürgerInnen auf, diverse Kreuze zu spenden. Es darf auch ein Bastelset aus zwei Holzstäben und zwei Nägeln sein, damit das Kreuz zusammen- und an die Wand genagelt werden kann. Die Kreuze sollten möglichst bald an die bayrische Regierung gesandt werden. Von dort können die CSU-Abgeordneten die Kreuze in die bayrischen Amtsstuben tragen. Dann gibt es endlich einen Kreuzzug, der keinen Schaden anrichten wird.

Klaus Zerkowski, Rothenburg

Halt den Hammer bereit

Ich möchte dringend raten, per Dienstanweisung dafür zu sorgen, dass jeder Dienststellenleiter in seiner obersten Schreibtischschublade ein Notfallset bereithält, bestehend aus einem Hammer und 4 Nägeln (oder sollte auch schon der 3-Nagel-Typus zulässig sein?). Nur damit ist der Gefahr vorzubeugen, dass so Aufgehängte versuchen, sich mittels Auferstehung aus Amtsstuben zu entfernen, was doch zu erheblicher Unruhe und Verwirrung unter der Bevölkerung führen könnte. Erwin Schellenberger, Bönnigheim

Jesus, Ruth – Migration

Auch wenn Herr Söder das Kreuz nicht als religiöses, sondern als Symbol für das Einheimische in Anspruch nehmen will, ist es untrennbar mit Jesus von Nazareth verbunden. Käme dieser heute nach Bayern, würde er sehr schnell als „Gefährder“ in Abschiebehaft genommen werden, denn er würde alles verkörpern, was Söder und geistesverwandte Konsorten ablehnen: einen Migranten vor sich zu haben, überdies einen aus dem Nahen Osten, also wahrscheinlich einen Terroristen, der durch Zulauf und Lehre die öffentliche Ordnung stören und nicht viel von kirchlichen oder staatlichen Autoritäten halten würde. Die Vorgeschichte des Kreuzes beginnt aber nicht bei Jesus und es wäre gut, sich an das Schicksal der Ruth, einer Stammmutter des Hauses David, zu erinnern. Sie war, oh Graus für alle Söder dieses Landes, eine moabitische Fremde in Juda, die deshalb zur Migrantin geworden war, weil sie sich vorher ihrerseits in ihrer Heimat mit einem Wirtschaftsflüchtling aus Juda eingelassen hatte.

Von der doppelten Migrationsgeschichte Ruths über den Gefährder aus Nahost bis zum verbindlich vorgeschriebenen bayerischen Heimatsymbol ist es fürwahr ein weiter Weg.

Er zeigt, dass niemand das Andere dauerhaft aussperren kann und dass das gefürchtete Andere sogar für die Beschreibung eigener Identität unabdingbar ist, wofür es unhinterfragt und ohne eine Würdigung in Anspruch genommen wird. Ohne das Andere, den Fremden, die Migrantin gäbe es nicht einmal bayerisches Bier geschweige denn ein kreuzförmiges Symbol für den Dominanzanspruch Alteingesessener an bayerischen Wänden. Jens Böhling, Hitzacker

Kreuzigung von Sklaven

Das Kreuz muss nicht nur als christliches Symbol gesehen werden, sondern auch als Symbol der repressiven römischen Staatsmacht und Justiz. Wenn man den Bogen zieht zum neuen „Polizeiaufgabengesetz“ in Bayern, ist man nicht weit davon entfernt, dass die demokratische Staatsform in Bayern gefährdet ist und durch diese „Kreuzaufhängung“ symbolisiert wird. Das Kreuz in den bayrischen Behörden kann in diesem Sinne nicht als ein religiöses Symbol gesehen werden, sondern es signalisiert in Wirklichkeit die politischen Veränderungen des Demokratiegedankens hin zum autoritären Staat.

Als Höhepunkt des staatlichen autoritären Denkens sehen wir historisch nicht nur die Kreuzigung von Christus in Jerusalem, sondern auch die Kreuzigung der 6.000 Sklaven nach dem Spartakusaufstand entlang der Via Appia zwischen Capua und Rom. Johannes Hustert, Freising

So seltsam gestrig

Mir scheint die Diskussion über die Sinnhaftigkeit von Symbolen des Götterglaubens im 21. Jahrhundert seltsam gestrig, überholt und aus zurückliegenden Zeiten ins Heute gezwungen. Ich wünsche mir endlich eine Wertediskussion jenseits von Religionen und ohne überholte Moralbegriffe wie Schuld und Sünde.

Kathrin Berger, Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen