Helke Ellersiek Balkongespräche: Granatenmäßige Aufrüstung für die innere Sicherheit
Meine Nachbarin sagt, die Polizei sollte eigentlich viel mehr Erlaubnisse bekommen. Dann etwa, wenn sie die mittlerweile polizeibekannten Einbrecher verhören, die mutmaßlich in meiner Wohnung herumgewühlt haben. „Die werden die ja wohl zum Reden kriegen, da muss es doch Methoden geben!“, empört sich meine Nachbarin. Überhaupt: Früher sei hier alle zehn Minuten die Polizei entlanggefahren, jetzt müsse man die Streifen suchen in diesem Viertel, das immer krimineller werde. Aber immerhin – neulich sei ja wieder mal diese Shisha-Bar durchsucht worden. Bestimmt gebe es da Zwangsprostitution, ist sie überzeugt.
Vergangene Woche gab es wieder eine Razzia in besagter Gaststätte. Breitbeinig standen die SEK-Beamten vor dem Eingang, raus oder rein durfte keiner ohne Uniform, Infos wurden auch nicht herausgegeben – doch Sicherheit hat ihre Ganzkörpervermummung nicht unbedingt vermittelt. Künftig könnten zu der Aufmachung Maschinengewehre und Handgranaten dazukommen, wenn es nach dem Willen der sächsischen Regierung geht. Die plant die umfassendsten Änderungen seit 1999. Medien haben den Entwurf diese Woche geleaked.
Demnach soll die Polizei neben den neuen Waffen die Erlaubnis zum Einsatz von Gesichtserkennungssoftware an der Grenze zu Polen und Tschechien bekommen, auch die Befugnisse in Video- und Handyüberwachung werden mehr: Selbst Journalisten und Beratungsstellen dürfen dann abgehört werden. Die Polizei hingegen muss sich zwar ausweisen – das gilt aber nicht, „wenn die Umstände es nicht zulassen“. Eine Kennzeichnungspflicht oder gar Bodycams wird es natürlich nicht geben: Da würden sich die Überwacher ja überwachbar machen.
Ob das Gesetz der Polizei bei ihren Razzien helfen wird? Noch im März gab es im Leipziger Norden und Osten eine Razzia mit 450 Beamten. Gefunden haben sie weder Drogen noch Waffen, dafür zwölf Kilo unversteuerten Wasserpfeifentabak und zufällig drei gesuchte Personen als Beifang. Die Polizei sprach von einem „vollen Erfolg“. Das sollten die Leipziger Beamten mal der Landesregierung sagen: Wenn alles so toll läuft, braucht es ja gar kein neues Polizeigesetz.
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