: Zur Sonne, zur Freiheit
Zu Gast im Moks versucht das Kainkollektiv, sich den Verstrickungen der Kulturindustrie zu entziehen. Das klappt natürlich nicht, ist dabei aber wunderschön anzusehen
Von Jan-Paul Koopmann
Die Traumfabrik schlägt Kapital aus der Quälerei von Kunstschaffenden. Und denen kommt vor lauter Selbstausbeutung als einzige Auflehnung nur noch in den Sinn, beim nächsten Mal noch besser abzuliefern. Das Elend der Kultur, schon lange, und sie nennen das eine Zukunftsvision? Nein, Science-Fiction ist Mirjam Schmucks und Fabian Lettows spartenübergreifende Inszenierung „Of Coming Tales“ nur nach Genreformalitäten. Die Gegenwart ist kein Stück besser – und natürlich wissen chronisch unterbezahlte Theatermacher*innen das auch ganz genau.
Also: Warnen tut das Stück des Kainkollektivs niemanden mehr. Mutig ist die beim Moks gastierende Inszenierung aber trotzdem: Weil man schließlich gezwungen ist, richtig gut abzuliefern, wenn man gutes Abliefern auf der Bühne zum Thema macht.
Hier geht das so: Eine Gruppe von Schauspielerinnen ist am Nichtort eines Konzern-Filmstudios gefangen, wird in ständig neue Settings hineingeworfen und hat da zu performen. Weiter geht es nur, wenn man den richtigen Ton trifft, das Richtige spielt. Gemeint sind Filmszenen, die reihum mit wechselnden Hauptfiguren nacherzählt und -gespielt werden.
Es sind die Schlüsselmomente diverser bekannter und (gerade beim jugendlichen Zielpublikum) auch weniger bekannter Filme: Der Tauchgang im vollgeschissenen Klo aus „Trainspotting“, Lord Voldemorts Auferstehung bei Harry Potter, der Weltuntergang aus Lars von Triers „Melancholia“ – bis zum animierten Slapstick „Rango“, der übrigens seinerseits gespickt ist mit Filmzitaten und einen herrlich verzwickten Verweisraum aufmacht.
Schon in der Gleichmacherei der Auswahl steckt die erste Zumutung: Ist das alles Film, alles Kultur, alles Ware? Hauptsache es knallt. Und das tut es auch. Und zwar so richtig. Diese temporeich inszenierten Wechsel machen einfach Spaß und jagen einen umher zwischen zwei Zuschauertribünen, Videoleinwänden und später durch das halbe Theater. Und weil – wie das mit individuellen Sehgewohnheiten und Perspektiven eben so ist – nie eine*r alles mitbekommt, wird das Spektakel immer wieder von Bühnenrand zu Bühnenrand gedoppelt, gespiegelt und kommentiert. Diese Choreografie ist, ganz ehrlich, ein Fest.
Erfolg geht nur zusammen, was aber nicht heißt, dass die Gruppendynamik sonderlich harmonisch wäre: Jede*r hofft zwar, dass es die anderen in ihren großen Momenten reißen und das geheimnisvolle Studio endlich zufrieden ist, doch die bittere Pointe ist, dass dieses Miteinander sich darin erschöpft, einander zu applaudieren, wenn mal wer gut war – mit Untertönen, die doch keinen Zweifel lassen, dass man ein bisschen doch auch neidisch ist auf den Erfolg der anderen.
Es folgt ein Gang hinter die Kulissen, hinunter ins Brauhaus, wo der Höhepunkt des Abends erst noch wartet: Die von Lotte Rudhart und Antonio Stella herrlich getanzte Version von „Fahrenheit 451“. Und spätestens jetzt ist klar: Die Kulturindustrie mag ein Höllenladen sein, aber keine Kunst ist auch keine Lösung. Wer glaubt, „spartenübergreifend“ hieße halt, dass man ein bisschen schauspielert, ein bisschen singt und sich dazu bewegt – der weiß es besser, wenn er die brutale Auslöschung der Literatur durch Tanz gesehen hat.
Draußen an der frischen Luft dann noch eine echte Warnung: Die Sonne scheint, aber das Spiel ist nicht vorbei. Wir sind lediglich im Außengelände der Traumfabrik und auch hier stehen Mauern, Zäune und Fallen, über die man auch in Zukunft noch rüber muss. Jubelnd verschwinden die Schauspieler*innen über den Innenhof am Goetheplatz. Sie haben geliefert. Und für den Applaus kommen sie alle artig zurück.
Sa, 21. 4., 19 Uhr, Theater Bremen. Weitere Termine: Mi, 25. 4, 10.30 Uhr, Do/Fr, 26./27. 4., 19 Uhr
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