Jörg Sundermeier Berlin auf Blättern: Wie verdinglicht wurde das Weimarer Babylon?
Das Berlin der zwanziger und frühen dreißiger Jahre ist ja schwer angesagt, das Fernsehen beschwört es mit „Babylon Berlin“, im Kriminalroman „Der weiße Affe“ führt es Kerstin Ehmer erneut vor Augen. Auch angesichts der neuen rechten Partei im Bundestag wird wieder von der „Zerrissenheit der Weimarer Republik zwischen rechts und links“ gesprochen – allerdings sucht man kommunistische Massenaufläufe bislang noch vergeblich auf Berlins Boulevards.
Curt Morecks „Ein Führer durch das lasterhafte Berlin“, vom Verlag mit dem Untertitel „Das deutsche Babylon 1931“ versehen, kommt da gerade recht. Die Neuauflage dieses einstigen Bestsellers, ist um einige Bilder und um ein Glossar erweitert worden, sonst aber blieb alles original – und das ist gut so.
Moreck hat tatsächlich einen Ratgeber geschrieben, man bekommt von ihm Ausgehtipps. Von herkömmlichen Berlinführern setzt er sich schon eingangs ab: „Die offiziellen Stellen präsentieren dem Reisenden einen Führer, der ihn in ermüdender Folge zu allen repräsentativen Stätten weist, der dem Eifer dessen dienen will, welcher es als einen unersetzlichen Verlust ansieht, wenn er an einem Denkmal, an einem Gebäude, einer Örtlichkeit achtlos vorrübergegangen ist, daran irgend eine historische Erfahrung sich knüpft. Oh, diese historischen Erinnerungen! Es sind die Meilensteine der Langeweile. Sie konservieren die Vergangenheit, sie sind das mumifizierte Gestern. Reisen aber heißt, die Gegenwart in ihrer Intensität erleben.“ Gern hätte man gelesen, was Moreck zum heutigen Disneyland zwischen Gendarmenmarkt und Alexanderplatz geschrieben hätte.
In diesem flotten Ton flaniert er über die Friedrichstraße – in der er vor allem alte, veraltete Formen der Verruchtheit sieht und von der er behauptet, die Tanzpaläste, Bordelle und Spelunken seien zumeist nur für den einen Zweck da, nämlich um Provinzlern jenes verruchte Berlin zu bieten, von dem sie zu Kaisers Zeiten schon haben raunen hören.
Die wirklich mondänen Orte findet er im Westen Berlins, an der Tauentzien und am Kurfürstendamm, rund um die damals noch in ihrer übertrieben Pracht herumstehende Gedächtniskirche. An Orten wie dem Femina-Palast sieht er all die schicken Flapper- und It-Girls, die mit ihren Bubiköpfen die Männer verwirren sollen – und die, wenn sie etwas älter sind, mit ihren Töchtern um die Bewunderung von Herren und Damen konkurrieren.
Er verbleibt fast ausschließlich in der Umgebung dieser beiden Pole. Ausflüge nach Schöneberg gibt es noch, Neukölln, oder Lichtenberg jedoch sucht er nicht auf, rund um den Alexanderplatz endet seine Welt, dort, wo echte Taschendiebe die Kneipenkundschaft behelligen und wo die Elendsprostituion nicht mehr schöngeredet werden kann. Das versucht Moreck denn auch nicht, obschon er in den Frauen „Liebedienerinnen“ erblickt, und sie ihrer Anmut und ihrer Erotik wegen oft verdinglicht. Damit ist er ganz im Tenor der Zeit. Gleichzeitig allerdings neigt er nicht dazu, Prostituierte zu verhöhnen, auch sind den Schwulen- und Lesbenbars eigene Unterkapitel gewidmet, und er kennt sich in beiden Sphären aus, war dort, als Beobachter zumindest, offenkundig wohlgelitten.
Man staunt, wie weit man damals als Gast im Kakadu und im Café Gummiknüppel gehen konnte, freut sich jedoch auch ein bisschen, dass die Armut heute nicht mehr so viele junge Männer und Frauen dazu zwingt, ihre Körper zu verkaufen. Eigentlich also ist es ganz gut, dass das Berlin der Zwanziger wirklich hundert Jahre vorbei ist. Dennoch liest man sehr gern, wie Moreck es vor seinen Leserinnen und Lesern kurz wieder auferstehen lässt.
Curt Moreck: „Ein Führer durch das lasterhafte Berlin. Das deutsche Babylon 1931. Bebra Verlag, Berlin 2018, 208 Seiten, 22 €
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