: Die leichte Hand der Bricolage
Der Kunstverein Wolfenbüttel zeigt im Prinzenpalais die verspielten Arbeiten der Französin Chloé Piot mit Alltäglichem wie Seifenschalen und Besenborsten. Deren Leichtigkeit wünscht man sich auch für den anstehenden Umbau des Palais
Von Bettina Maria Brosowsky
Der Wiederaufbau westdeutscher Städte in den Nachkriegsjahren, besonders wenn als architektonischer Aufbruch begriffen, ging zu Lasten der historischen Substanz. Ihr wurde nicht annähernd die Wertschätzung zuteil, mit der heute jedes barocke Bürgerhaus, jedes Gründerzeitviertel oder jedes noch so bescheidene Fachwerk als authentisches Relikt vergangener Jahrhunderte aufgepäppelt wird.
Wenn ein Städtchen wie Wolfenbüttel den Krieg weitgehend unbeschadet überstanden hatte, dann sah es in den 1970er-Jahren dort ziemlich düster aus – allenthalben Verfall. In diesem Klima entschieden sich engagierte Bürger, die Geschicke ihrer Stadt aktiv in die Hand zu nehmen. Mut machten ihnen lokale Persönlichkeiten wie der Literaturwissenschaftler und Bibliothekar Paul Raabe, der sich damals anschickte, die ehrwürdige Herzog-August-Bibliothek als internationale Forschungseinrichtung zu öffnen und neu zu strukturieren. Eines der Projekte: ein Kunstverein, der frischen Wind in die Stadt bringen sollte.
Trotz institutioneller und wirtschaftlicher Wechselfälle behauptet er sich nun seit rund 44 Jahren am Ort. Und wenn man dieses Jahr das 900-jährige Jubiläum der ersten urkundlichen Erwähnung Wolfenbüttels feiert, dann steuert der Kunstverein einen besonderen Programmpunkt bei und geht an eine verborgene Örtlichkeit, den Eiskeller einer ehemaligen Brauerei. Hier werden Tamaki Watanabe und Walter Zurborg eine Licht- und Klanginstallation einrichten, die mit digitalen Zufallsoperationen sowohl den ungewöhnlichen Raum als auch das Thema des Festivals, „Freiheit und Verantwortung“, reflektiert. Sie fragen nach der Notwendigkeit des Zufalls und wie frei ein Wille in einer Welt ohne ihn ist.
Sein festes Domizil hat der Kunstverein Wolfenbüttel in drei Räumen des sogenannten Prinzenpalais, einem stattlichen Fachwerkkonglomerat direkt im Zentrum, dessen Substanz bis ins frühe 17. Jahrhundert zurückreicht. Seine Bezeichnung stammt aus der kurzfristigen Nutzung durch ein preußisch-welfisches Kronprinzenpaar um 1730. Auch die Geschichte dieses Hauses ist wechselvoll. Die Natursteine im Erdgeschossteil der Fassade erzählen von der finanziell üppigeren Zeit als Heimat einer Bank, im Keller liegt ein historischer Tresorraum, der mitunter für eine Ausstellung genutzt werden kann. Im Obergeschoss findet sich dagegen ein vollkommen der Zeit entrückter Festsaal aus der Kronprinzenära, an den wohl letztmals im 19. Jahrhundert substanziell Hand angelegt wurde.
Dieses delikate Raumensemble in privatem Besitz steht kurz vor der denkmalgerechten und barrierefreien Ertüchtigung – was befürchten lässt, dass sein herrlich morbider bis surrealer Charme, der einfach nur staunen macht, wegsaniert wird. Und damit der kreative Humus für den Kunstverein sowie weitere kulturelle Nutzer im Hause.
Aktuell stellt die Französin Chloé Piot im Kunstverein aus. Die 1986 in Aubagne, Südfrankreich, Geborene hat sowohl dort, an der Ecole Nationale Supérieure d’Art de Limoges, als auch in Deutschland studiert, so an der Burg Giebichenstein in Halle und der HbK Braunschweig. Von 2014 bis 2017 schloss sich ihr Meisterschulstudium bei der Multimediakünstlerin Alba D’Urbano, Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig an, wo Piot seither lebt. Sie zeigt nun Objekte, etwas ältere oder auch für den Ort entwickelte neue Arbeiten. Alle sind es herrliche und gekonnte Basteleien, gleichermaßen ästhetisch wie voller erzählerischem Humor.
Es sind keine akademischen Ready Mades, die aus der geniehaften Erhebung eines singulären Gegenstandes zum Kunstwerk leben, sondern vielschichtige Kombinationen aus banalen Dingen wie Küchenschwämmen, Seifenschalen, Besenborsten oder einem Krawattenbügel. Ihrer normalen Nutzung und Bedeutung entledigt, werden sie neu zusammengesetzt und überraschen durch ihre figurativen wie semantischen Interpretationen und ihre assoziativen Titel.
In Wolfenbüttel arbeite Piot erstmals mit Licht und Verdunkelung, weiß Elisabeth Vorderwülbecke zu erzählen. Die Kunsthistorikerin verantwortet das Jahres- und vor allem das Vermittlungsprogramm, das vom niedersächsischen Kulturministerium gefördert wird. Sie schwärmt von der literarischen, „französischen“ Qualität der Objekte Piots, wie spielerisch sich alles fügt, aber auch, wie souverän die Künstlerin mit den drei Räumen umzugehen versteht.
Das Zentrum liegt nun im Dunkeln und wird von der Arbeit „Optik“ belebt. Dafür hat Piot Schultüten, Spiegel und Lampenstative gesammelt. Mit einer Idee, wie ein Zusammenspiel aussehen könnte, habe sie dann viel im Kunstverein probiert, sagt die Künstlerin.
Am Ende entstand eine theatralisch ausgeleuchtete kleine Gruppe, eine Bühne. Der Schattenwurf lässt an historisches Figurentheater denken, die Geometrie der Objekte an Ideen des Bauhausballetts und ein blau-weißer Porzellandeckel auf einem Kegel wirkt wie ein magisches Auge. „Fruchtbar, was der Einbildungskraft freies Spiel lässt“, wusste Lessing ja schon 1766.
Wie Chloé Piot mit leichter Hand improvisiert, entspricht der Denk- und Arbeitsweise der Bricolage, die der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss zum Konzept erhob. Nötig, so Lévi-Strauss, sind Kenntnis der Ressourcen, Intuition und das Grundvertrauen, dass jeder Prozess offen bleiben und sich selbst korrigieren darf. Man wünschte sich derartiges Talent für die Sanierung des Prinzenpalais.
„Chloé Piot. A Kind Of Magic“:
bis zum 22. April im Kunstverein Wolfenbüttel
Performatives Künstlergespräch mit Angelika Waniek, Leipzig, am 20. April, 19 Uhr, im Festsaal
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