Ausstellung „Stockholm Syndrome“: Die Geiseln der Kunst
Der Kunstverein Harburger Bahnhof präsentiert eine Reihe von Versuchsanordnungen, die sich damit befassen, was menschliches Verhalten beeinflusst.
Solche Erfahrungen zu machen, ist aber stets mühsam und zeitaufwendig. Selbst wenn Künstlerinnen in Inszenierungen und Dokumentationsvideos die persönliche Teilnahme überflüssig machen, bleibt es notwendig, sich länger darauf einzulassen, so wie derzeit im Kunstverein Harburger Bahnhof.
Auf einer Video-Bühne sind dort Menschen zu beobachten, die nicht ganz alltägliche Situationen zu meistern haben – unter dem Titel „Stockholm Syndrome“, das in die Psychologie als Synonym für die Identifikation von Geisel und Geiselnehmer eingegangen ist.
Vor einer weißen Wand gegenüber dem Eingang des einstigen Wartesaals begrüßt eine achtköpfige Gruppe das Publikum, die alle anlächelt – möglichst unbeweglich und gequälte 60 Minuten lang. Wie schnell dabei Freundlichkeit peinlich und zur Folter werden kann, ist schon nach kurzer Zeit und höchst amüsant zu bemerken.
Eine weitere Videoarbeit derselben Künstlerin, Anna Witt, kreist um das Verhalten zufällig ausgewählter Personen, die sich gemeinsam auf unbestimmte Zeit in einem mit Matratzen ausgelegten Raum aufhalten. In „Gemeinschaft ohne Eigenschaften“ geht es teils um den Rückzug nach Innen und teils um schüchterne Kommunikation, um den lästigen Zwang, aber auch die utopischen Möglichkeiten des Zusammenseins.
„Stockholm Syndrome“: bis 13. Mai im Kunstverein Harburger Bahnhof; „Work“: Seminare am Konferenztisch der Installation von Carlo Siegfried am 24. März; „Political Communities“ am 5. Mai
Dass die Betrachter auf den gleichen Sitzgelegenheiten wie im Bild Platz nehmen, deutet an, dass dieses Experiment eine allgemeinere Bedeutung haben kann. Schade eigentlich, dass die hörbaren individuellen Geschichten und Visionen ins Leere laufen, wenn sich die Interaktion in dieser von Agonie überschatteten Gruppe darauf beschränkt, nach einem Feuerzeug für die letzte Zigarette zu fragen.
Gleichfalls frustrierend, aber eigentlich nicht verwunderlich sind die Einblicke, die das Ausbildungsvideo „Gnade üben“ von Lisa Bergmann und Alina Schmuch gibt: Auch kirchliche Seelsorger sind keine Engel, auch sie müssen pingelig geschult werden und haben ihre schwatzhaften Zweifel an den geforderten Identifikationen.
Dagegen kommen Management-Seminare in dem anderen Video von Alina Schmuch geradezu religiös daher: „Hello, my Name is Mystique and Power“. Vielleicht sparen die hier vor dem Bildschirm verbrachten 43 Minuten ja Geld für dergleichen Motivationszauberei in der Realität draußen.
Geronnene Geschichte
Im fünften Film wird es amerikanisch und theatralisch komplex. „Some Things in Common Perhaps“ der Gruppe „Titre Provisoire“ (Cathleen Schuster und Marcel Dickhage) ist eine Tanz-Text-Performance in einem alten Haus in New York City. In der Zeit der Machtübernahme von Präsident Donald Trump bespielen die vier Akteure „Stimme“, „Körper“, „Sprache“ und „Jemand“ die herrschaftliche Architektur, machen holzgetäfelte Räume und gewundene Treppen zu Mitspielern in einer Vergegenwärtigung der Repräsentation von Macht und kolonialem Erbe.
Das läuft nicht ohne einiges Pathos und hochintellektuelle Zitate von Hannah Arendt und aus B. Travens Roman „Troza“, die in der Anti-Trump-Kampagne Verwendung fanden. In „Troza“ geht es um die geschlossenen tropischen Sub-Gesellschaften bei der Mahagoni-Gewinnung und deren Mikro-Ökonomie: Universale Bau-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte körperlich erfühlt und geronnen zu einer klaustrophobischen Situation. Hier ist der Geiselnehmer Architektur gewordene Geschichte.
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