boulevard der besten
: DenizYücel

Foto: Karsten Thielker

Wir wissen natürlich nicht, wie er sich fühlte, aber schlecht kann es nicht gewesen sein: Deniz Yücel war am vergangenen Donnerstag Gast auf der taz-Redaktionskonferenz, und ihm standen so etwas wie Tränen der Rührung in den Augen, als er mit prasselndem Applaus empfangen und mit stärkstem Tischklopfen verabschiedet wurde. Vorher sagte unser früherer, nun bei der Welt arbeitender Kollege so lakonisch wie aufrichtig: „Danke!“

Mehr als ein Jahr lang saß er, der als Journalist dem Regime Recep Tayyip Erdoğans investigativ wohl oft zu nah kam, im türkischen Hochsicherheitsgefängnis, ohne dass die Erdoğan-Justiz auch nur gewagt hätte, eine fundierte Anklageschrift zu formulieren: Deniz Yücel war sozusagen ein Gefangener ohne rechtsstaatliche Grundlagen. Seit gut fünf Wochen ist er nun frei, versucht zur Ruhe zu kommen – und wollte sich bedanken für die Solidarität, die ihm auch von Herzen aus dem taz-Spek­trum zuteil wurde. „Nachts, wenn man nicht gleich schlafen kann, ist es einem in einem Gefängnis wohler, wenn man darum weiß, wie Solidarität geht und man nicht vergessen ist.“

Jetzt will er in das zurück, was man, lebt man nicht in einem Knast, eher für anrüchig halten könnte: Normalität. „Ich möchte mein Leben leben, ohne dass ich Objekt des Journalismus werde. Die Kameras sollen nicht auf mich gerichtet sein, man soll nicht mit mir Interviews machen. Ich möchte selbst Interviews machen, ohne dass mein Gegenüber denkt, ach, das ist der Mann, der ein Jahr in der Türkei im Knast saß.“

Unser Kollege Deniz Yücel, das gehörte zur Wahrheit dieses Konferenztags mit dazu, sah wahnsinnig gut aus. Hochkonzentriert und zugleich entspannt berichtete er von seinen Monaten im Gefängnis. Immerhin: Gelegentlich bekam er Exemplare der taz (ein Hoch auf die taz-Knast-Abo-Initiative, die dies ermöglichte) in die Hand – „und konnte mich über das Weltgeschehen informieren, die Fußballbundesliga etwa“.

Apropos Normalität, das Leben geht ja weiter in Freiheit, beziehungsweise weil Deniz ja bei taz-WM-Projekten stets zur Freude Tausender Leser*innen mitmachte und schrieb. Also Frage an den WM-Experten Yücel: Wer wird im Sommer in Russland Weltmeister? Antwort: „Spanien.“ Und wie stehtes um die Joachim-(„Jogi“)-Löw-Truppe? Nationalexperte Denis Yücel muss nicht lange grübeln: „Mit Deutschland muss man immer rechnen.“

Jan Feddersen