das ding, das kommt: Im mobilen Käfig
Man kommt nicht drum herum, mit ihm zu fahren. Die Alternative ist mühselig, Stufe für Stufe schwere Hubarbeit. Ab drei Stockwerken verzichten fast alle auf das Treppensteigen. Alle 71 Stunden stehen wir in einem Fahrstuhl. Rein statistisch. Und alle 72 Stunden befördern alle Fahrstühle der Erde die gesamte Erdbevölkerung einmal hoch und wieder runter.
Der elektrische Aufzug hat nicht nur das vertikale Bauen revolutioniert, sondern auch einen eigentümlichen öffentlichen Ort geschaffen. Nirgendwo sonst sind sich Fremde so nahe, ohne fliehen zu können. Sicherheitsabstand: unmöglich. Ein mobiler Käfig, in den man sich selbst einschließt: ein ideales Soziallabor.
1962 hat der Sozialpsychologe Solomon Asch Menschen im Lift mit versteckter Kamera gefilmt und herausgefunden, was jeder schon ahnt: Es herrscht Gruppendruck! Wenn einander Unbekannte gemeinsam fahren, üben sie höfliche Nichtbeachtung, starren auf den Boden oder die Anzeige: 1 …, 2 …, 3 …, endlich frei! „Der abgewandte Blick muss die körperliche Nähe als Beziehungszeichen dementieren“, schreibt der Soziologe Stefan Hirschauer. Nicht von ungefähr heißt seicht vor sich hin dudelnde Gebrauchsmusik Fahrstuhlmusik.
Einblicke in diesen Sozialraum gibt Heinrich Riebesehls Fotoserie „Menschen im Fahrstuhl“, die jetzt anlässlich der Ausstellung „1938. Geburtstagsfest mit Gästen“ im Sprengel-Museum in Hannover als Buch erschienen ist (Spector Books, 112 S., 28 Euro). Fünf Stunden und 35 Minuten hat Riebesehl am 20. November 1969 Mitarbeiter*innen im Gebäude der Hannoverschen Presse geknipst. Ein faszinierender Querschnitt durch alle sozialen Etagen des Verlagshauses.
Aber ganz ohne Menschen darin sind Fahrstühle übrigens sicherheitstechnisch schon am Optimum: ganz oben. Treppensteigen ist viel gefährlicher. Rein statistisch. Robert Matthies
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