Benjamin Moldenhauer
Popmusik und Eigensinn
: Hausaufgaben im Klo

Popmusik wird existenziell bedeutsam, wenn sie welthaltig ist, also soziale Erfahrungen berührt und verhandelbar werden lässt, indem sie ihnen einen musikalische Form gibt. Im Idealfall eine, die es dem Hörer erlaubt, sich als eigensinniges oder, in den Fällen, die vom Zwang nichts mehr wissen wollen, als autonomes Individuum zu imaginieren.

Dieses Prinzip, ein Geschenk eigentlich, das in der Adoleszenz lebensrettend sein kann, wird meist für jugendliche Hörer ausbuchstabiert. Abgesehen von wenigen politisch ambitionierten Ausreißern in den Siebzigern und heute von den Kindern vom Kleistpark erschöpft sich Musik für Kinder überwiegend in quälender Hüpfburg­ästhetik oder harmonieselig-infantilen Ärgernissen. Deine Freunde scheren hier aus und scheinen nicht nur musikalisch – deutscher Hip-Hop, der klingt, wie deutscher Hip-Hop eben klingt –, sondern auch mit ihren Texten ein Bedürfnis getroffen zu haben: Ihre Konzerte sind durchweg ausverkauft.

Genauere Beschreibungen des Kinderalltags und der Konflikte, die das Kinderleben hierzulande begleiten und bestimmen, findet man ansonsten nicht – sich gesund ernähren müssen, ausgefragt werden, nervende Erwachsene allgemein, schöne, schwierige Freundschaften etc. Alles da, einerseits universal gedacht, andererseits mit einem hörbaren Zug Richtung mittelständische Lebenswelt.

Der Beschreibung folgt bei Deine Freunde zumeist die verbal versierte, lustige Trotzgeste, das Äquivalent zum adoleszenten Eigensinn. Das hat mitunter sanft-antiautoritäre Züge. „Hausaufgaben“ beispielsweise zitiert die gängigen elterlichen Aufforderungsformeln („Du kannst nicht immer machen was Dir passt / so haben wir nicht gewettet / Du setzt dich jetzt hier hin, du setzt dich jetzt hier hin / Dann wird geschrieben, gelesen, und gerechnet bis wir fertig sind“) und bietet ein paar Ausreden an: „OK, war ein Witz / Das ganze war so / Oh, bitte bitte glaub mir, ich mach keine Show / hab die Hosen hochgezogen und dann lagen sie im Klo“. So lernt das Kind, dass der unverdingte Rest, hier verdichtet im Bild Hausaufgaben im Klo, seinen angestammten und ausschließlichen Platz in der Kunst hat. Wut, Frust und Renitenz werden symbolisch ausagiert. Die Hausaufgaben werden trotzdem gemacht.

Konzert: Deine Freunde spielen am Freitag, 2.3., um 17 Uhr im Pier 2